Liebe Unbekannte (German Edition)
beleidigte. Doch erneut in Nyék zu übernachten, dazu konnte sich Gábor nicht durchringen. Die kommenden Nächte verbrachte er hinter der westlichen Stützwand des Schlosses, im Keller bei Tabaki und den anderen. Dieses Zusammenleben verlief jedoch auch nicht ohne Anspannungen, da er und die Mitglieder der späteren Band
Nimmermehr
gegenseitig aufeinander herabsahen. Ihre Ansichten über Rock ’n’ Roll waren grundverschieden. Gábor hatte Jahre dafür geopfert, seinen Lieblingssong zu finden, wenn es sein hatte müssen, war er per Anhalter bis ans Ende der Welt gefahren oder auch gelaufen, um ein Konzert zu sehen, und seine Bemühungen hatten sich auch ausgezahlt: Er fand, was er gesucht hatte, nämlich den besten Song. Von da an hatte er in seiner Seitentasche stets eine Kassette dabei, auf der er
Paranoid
von
Black Sabbath
aufgenommen hatte, und zwar sechzehnmal hintereinander. Gábor wurde zum Schreck jeder Feier: Wenn er irgendwo einen Kassettenrecorder fand, nahm er die darin befindliche Kassette heraus und legte seine eigene ein. Er brachte es fertig, sich dieses Lied immer und immer wieder anzuhören, und es andere anhören zu lassen. Aber man konnte ihm nicht böse sein – allein schon wegen seiner körperlichen Kraft. Aber auch wegen seiner naiven Überzeugung, beim Rock ’n’ Roll gehe es um die Rockmusik.
„Worum zur Hölle geht es denn dann?“, fragte Gábor wütend, als die Mitglieder der späteren Band
Nimmermehr
ihn wegen seiner Überzeugung auslachten. Sie interessierten sich kaum noch dafür, worum es bei irgendeiner Sache ging, und nur das Lachen der Gescheitesten unter ihnen (in erster Linie das von Tabaki) wurde durch den Gedanken getrübt, dass sie vielleicht nicht nur Gábor auslachten, sondern zusammen mit ihm auch das Wesentliche.
Nach einigen in den Kellern verbrachten Nächten wusste man in der gesamten Bibliothek, wer Gábor war. Man lachte über ihn, zog ihn auf, jeder kannte ihn. Obgleich er auf seinen zweifelhaften Ruf ein bisschen stolz war, dachte er immer öfter an die Hütte in Nyék. Erfrieren würde er schon mal nicht: Bevor er die Hütte verlassen hatte, hatte er eine Menge trockener Äste zusammengetragen, weil er dachte, er würde wieder dort schlafen. Brennholz hatte er also, aber allein wollte er trotzdem nicht hinausfahren.
Ich hatte das Zeitschriftenarchiv also im besten Augenblick betreten.
„Mach dir keine Hoffnungen, du kommst nicht umhin, in der Hütte zu übernachten“, sagte er grinsend auf dem Weg zum Südbahnhof, nachdem er mir die obigen Ereignisse skizziert hatte, wobei er Kornél, Emőke Széles,
Black Sabbath
und seine eigene furchtbare Einsamkeit aus der Erzählung aussparte. Dann stiegen wir in den Zug ein.
Der Grund, warum ich zum richtigen Zeitpunkt in Gábors Leben auftauchte, war Tante Maras Beerdigung, die drei Tage zuvor stattgefunden hatte.
An dem Abend fühlte sich Mutter ziemlich auf den Fuß getreten, da Gerda und Erika doch zur Beerdigung gegangen waren. Inzwischen hatte sie nämlich erfahren, dass aus Nyék mehrere hundert Menschen dagewesen waren, nur wir nicht.
„Wieso sind wir eigentlich nicht hingegangen?“, fragte sie Gerda, die ihr erzählte, dass Erika und sie dagewesen seien, was Mutter sehr verärgerte, und sie sagte, die ganze Familie benehme sich, als lebten sie wie Fremde zusammen. Tomi komme auch nur noch zum Essen nach Hause. Und Gerda erzähle ihr auch nichts! Zum Beispiel, weshalb sie bei der Filmfabrik gekündigt habe.
Um Mutter zu versöhnen, gab Gerda einem mutigen Impuls nach und erzählte ihr endlich, weshalb sie im Herbst in der Filmfabrik gekündigt hatte: Der Kameramann, der ihr seit Jahren versprochen hatte, sich scheiden zu lassen, ließ sich nicht scheiden, sondern zog samt Familie nach Amerika und begann eine internationale Karriere. Zu Gerda hatte er jedoch gesagt, er liebe nur sie. Und er hatte auch noch gesagt, er habe ihr Drehbuch für den Kurzfilm gelesen und sei total begeistert davon, er hätte gar nicht gedacht, dass Gerda sogar dafür … Er selbst werde leider nicht mehr die Zeit haben, daran teilzunehmen, denn natürlich hätte er bei dem Kurzfilm die Aufnahmen gemacht, wer sonst, das verstehe sich doch von selbst, aber leider sei es eben nicht möglich, er habe das Drehbuch jedoch Laci Kendefi in die Hand gedrückt, und Gerda solle nicht zulassen, dass Laci es vergesse, bei ihm gehe nämlich so manches unter. Er werde Laci aus Los Angeles zwar sowieso anrufen und ihm keine Ruhe lassen,
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