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Liebe Unbekannte (German Edition)

Liebe Unbekannte (German Edition)

Titel: Liebe Unbekannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: István Kemény
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Zeilen wieder. Und bedeuteten wieder, was sie bedeuteten. Und verhießen wieder den unverfassbaren Roman.
    Am nächsten Abend zeigte sie dem jungen namenlosen Psychiater ihren Lieblingsort: einen verlassenen Bootssteg am Belgrad-Kai. Sie kletterten über die Absperrung am Ende der Schiffsbrücke, setzten sich im Schneidersitz auf den Steg, und Emma legte im beständig mystischen Neonlicht des Kais das abgetippte Exemplar des
Etwas
vor ihn.
    „Ich habe gestern etwas geschrieben“, log sie mit pochendem Herzen. „Magst du es lesen?“
    „Ja, klar!“, sagte der junge namenlose Psychiater, denn er hatte schon mit etwas in der Art gerechnet, nur später.
    „Aber sag mir bitte, wenn ich eine Psychopathin bin.“
    „Das sag ich dir. Darf ich dich dann behandeln?“
    „Dann machst du mit mir, was du willst“, sagte Emma angespannt, dabei hatten sie bereits eine Flasche Wein getrunken, drei Viertel davon sie. „Dann ist mir nämlich alles egal.“
    Der junge namenlose Psychiater las sich die Unterhaltung von Pryzk und Griega im Grab durch. Er war fasziniert. Er kannte sich mit Gedichten nicht aus, sah jedoch, dass dies gar kein Gedicht war, denn hier steckte die halbe Welt drin. Welche Hälfte der Welt, sah er nicht, das sah nur Emma.
    „Wow“, sagte er also und schüttelte ungläubig den Kopf. Er las es noch einmal, nickte und gab es Emma zurück.
    „Das ist es, was du machen musst!“, sagte er. „Du siehst etwas, was andere nicht sehen.“
    Und lachend fügte er hinzu:
    „Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass du eine Psychopathin bist.“
    Nach einer weiteren kurzen Pause sagte er:
    „Und wenn du eine Muse brauchst, sag nur Bescheid. Ich komme!“
    Und als er sah, dass Emma um Luft rang, fügte er noch hinzu:
    „Beruhig dich doch endlich, es ist wirklich wunderschön.“ Er strich ihr übers Haar. „Ist dir das so wichtig?“
    Vollkommen wäre es gewesen, wenn sie gleich hier auf dem Bootssteg miteinander geschlafen hätten. Emma war der Ansicht, eine große Liebe müsse auf der Bühne vor Publikum beginnen. Einander erblicken, sich küssen und vielleicht sogar gleich dort, wo man war, miteinander schlafen, andere könnten es ihnen ja nachmachen oder sich die Augen zuhalten, wegrennen oder weinen vor Neid: Frisch Verliebte mussten jedoch zeigen, dass es von nun an nur noch sie gab! Eine königliche Hochzeitsnacht. Und vielleicht wäre es sogar so gekommen, hätten sie noch eine Flasche Wein gehabt. Der junge namenlose Psychiater befürchtete jedoch, vor lauter Stress keinen hochzubekommen und schlug vor, zu ihm in die Pozsonyi Straße zu gehen. Denn er hatte sich noch rechtzeitig umgesehen, von wo aus man Ausblick auf den Bootssteg hatte, und da hatte er auf dem Balkon in der zweiten Etage Tante Judit erblickt, die gerade herausgekommen war, um zu überprüfen, wie es ihren Pflanzen ging. Am Nachmittag hatten Onkel Lajos und sie mit reichlich Wasser und einem Schwamm von allen Pflanzen die radioaktive Verschmutzung abgewaschen. Seit einer Woche wuschen sie diese nach jedem Regen ab. Emma versuchte nicht, den jungen namenlosen Psychiater zu überzeugen, denn sie hatte zwar Erfahrungen mit Sex, hielt sich jedoch nicht für geschickt genug (was man ihr glücklich nachsah). Ihre Besorgnis war überflüssig: Zu dem Zeitpunkt hatte der junge namenlose Psychiater bereits beschlossen, dass er diese Frau haben wollte.
    Von der zweiten Etage aus sah man nur, dass sich auf dem Bootssteg ein Paar küsste, aber es gab jeden Abend ein küssendes Paar auf dem Bootssteg, Tante Judit schaute schon gar nicht mehr hin. Und den Pflanzen ging es, Gott sei Dank, gut.
    Sie gingen in die Wohnung in der Pozsonyi Straße und schliefen miteinander. Emma war tatsächlich nicht besonders geschickt, was der junge namenlose Psychiater ihr jedoch glücklich nachsah, sie war ja auch nicht wirklich ungeschickt, höchstens ein bisschen faul. Und, na ja, sie war eben nur mit dem Leib dabei, nicht mit der Seele, denn ihre Seele saß während der ganzen Zeit komplett angezogen auf dem Teppich und durchstöberte ironisch lächelnd die Plattensammlung des jungen namenlosen Psychiaters.
    Danach lagen sie eine Weile schweigend da. Der junge namenlose Psychiater war glücklich, offenbar hatte er die Frau seines Lebens gefunden (wobei es mit ihr noch einige Schwierigkeiten geben würde, das sah man jetzt schon, aber, was sollte es), und Emma dachte daran, dass sie es so entschieden habe und fertig. Dieser Mann, der mit gleichmäßigem Licht

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