Liebe und andere Zufalle
ja, ich habe nicht seinen wirklichen Namen verwendet, und ich habe nicht erwähnt, dass er mein Lover ist.«
»Ist das nicht unethisch?«
»Nein.« Cynthie schob ihren Teller von sich, das meiste darauf noch unberührt. »Genauso haben wir uns kennen gelernt. Ich erfuhr durch mehrere meiner Patientinnen von ihm, denn er hatte einen gewissen Ruf.«
»Ich weiß«, erwiderte David und dachte mit Groll an Cal, den Wunschtraum aller Frauen. »Vollkommen unverdient.«
»Machen Sie Witze?«, versetzte Cynthie. »Ich habe ihn studiert , und trotzdem hat er mich erobert.« Ihre Mundwinkel hoben sich. »Die Natur hat ihm dieses Gesicht und diesen Körper geschenkt, und von seinen Eltern hat er als Kind nur bedingte Liebe erhalten. Das heißt, er wurde darauf trainiert, anderen zu gefallen, um Anerkennung zu bekommen. Und die Menschen, denen er am meisten gefallen will, sind Frauen, die nur zu erfreut über seine Aufmerksamkeit sind, weil er so gut aussieht. Sein gutes Aussehen garantiert ihm also die Grundakzeptanz, und sein Charme garantiert ihm die Anziehung. Er ist eines der besten Beispiele für Anpassungsfähigkeit, die ich je erlebt habe. Die Abhandlungen, die ich über ihn geschrieben habe, sind auf großes Interesse gestoßen.«
David versuchte, sich Cal als Kind vorzustellen, das sich um Zuneigung bemühte. Ihm gelang aber lediglich das Bild eines hübschen, dunkelhaarigen kleinen Jungen in kurzen Hosen, der auf einer Schaukel saß und kleine Mädchen selbstsicher anlächelte. »Wusste er, dass Sie über ihn schrieben?«
»Nein«, antwortete Cynthie. »Und er weiß es immer noch nicht, wird es auch nie erfahren. Ich habe diese Arbeit längst abgeschlossen. Jetzt schreibe ich an einem Buch, für das ich schon einen Vertrag habe. Es ist so gut wie fertig.« Sie lächelte, ein katzenhaftes, zufriedenes Lächeln. »Wissen Sie, ich bin keine dieser dummen Frauen, die vor sich hin jammern: ›Aber ich dachte, er liebt mich.‹ Nein, ich habe den wissenschaftlichen Beweis, dass er mich liebt. Und er wird bald zu mir zurückkommen, sofern Ihre Min ihn nicht ablenkt.«
»Also dann«, begann David und beugte sich vor, »wenn wir auf Nummer sicher gehen wollen, dass sie nicht in die - was war es doch gleich? - Phase der Anziehung geraten, was sollen wir tun?«
Cynthie riss die Augen auf. »Tun?« Sie stellte ihr Weinglas ab und dachte darüber nach. »Nun ja, ich nehme an, wir könnten mit ihren besten Freunden und den Familien sprechen, sozusagen die Brunnen vergiften. Und wir könnten ihnen auf verschiedene Weise Glück verheißen, um all dem entgegenzuwirken, was sich zwischen ihnen abspielt. Aber das wäre nicht … David, wir müssen gar nichts tun. Cal liebt mich.«
»Natürlich«, erwiderte David und lehnte sich zurück. Ich werde mich mit der Familie in Verbindung setzen .
Cynthie lächelte ihn an. »Ich habe keine Lust, noch länger über die beiden zu sprechen«, meinte sie. »Was ist mit Ihnen? Was tun Sie beruflich?«
Es wurde auch Zeit, dass wir mal auf mich zu sprechen kommen , dachte David. Er antwortete: »Ich bin in der Software-Entwicklung tätig«, und sah, wie ihr Blick glasig wurde.
Draußen vor Emilio's atmete Min tief die sommerliche Abendluft ein und dachte: Ich bin glücklich . Offensichtlich war gutes Essen ein Gegenmittel gegen Wut und Demütigung. Gut zu wissen.
Dann erschien Cal und brach den Bann mit der Frage »Wo steht Ihr Auto?«
»Kein Auto«, antwortete Min. »Ich gehe zu Fuß nach Hause.« Sie streckte die Hand aus. »Also vielen Dank für den wundervollen Abend. Na ja, Sie wissen schon. Auf Wiedersehen.«
»Nein«, wehrte Cal ab und ignorierte ihre Hand. »In welcher Richtung wohnen Sie?«
»Hören Sie«, erwiderte Min ärgerlich. »Ich kann allein …«
»Allein abends durch die Stadt? Nein, das können Sie nicht. Dazu wurde ich zu gut erzogen. Ich begleite Sie nach Hause, und keine Widerworte bitte. Also, in welcher Richtung gehen wir?«
Min überlegte, ob sie ihm widersprechen sollte, aber es schien nicht der Mühe wert. Schon wenige Stunden mit Cal Morrisey hatten sie gelehrt, dass er seinen Willen für gewöhnlich durchsetzte. »Also gut. Vielen Dank. Wir müssen in diese Richtung.«
Sie begann, die Straße hinunterzugehen, und lauschte dem sanften Rauschen in den Bäumen und den gedämpften Verkehrsgeräuschen. Cal ging neben ihr, und das Geräusch seiner Schritte ergab im Gleichtakt mit dem Klicken ihrer hohen Absätze einen netten, rhythmischen Klang.
»Und was tun
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