Liebe und Verrat - 2
Lippen.
»Ich werde dich finden, Lia.«
Dann gibt er Sargent einen festen Klaps auf die Flanke. Das Pferd macht einen Satz vorwärts und Dimitri gibt seinem eigenen Ross die Sporen, um mir zu folgen. Während wir durch den Wald galoppieren, frage ich mich unwillkürlich, ob ich ihn jemals wiedersehen werde. Oder ob all die sanften Worte, die ich mir aufgespart habe, ungesagt bleiben.
Genauso wie bei den Dämonenhunden fühle ich die Seelen, ehe ich sie sehen oder hören kann. Ich kann die entsetzliche Verbindung zwischen ihnen und mir nicht verleugnen, wie sehr ich auch alles verabscheue, was sie vertreten. Eine Zeit lang galoppiere ich durch den Wald, Dimitri dicht hinter mir und mit der Gewissheit im Herzen, dass die Seelen näher kommen.
Und dann, mit einem Mal, höre ich sie.
Sie brechen durch den Wald hinter mir, und ich beuge mich über Sargents Hals, flehe ihn an, noch schneller zu laufen, mich aus dem Wald hinaus und zu der kleinen Stadt zu tragen, die vielleicht Chartres ist, vielleicht aber auch nicht. Dimitri bleibt noch eine kleine Weile bei mir, und dann, als das Knacken und Krachen von Zweigen und Unterholz hinter uns lauter wird, entfernen sich die Hufschläge von Dimitris Pferd nach rechts, und ich weiß, dass er fort ist.
Ich zwinge mich dazu, nicht über seine Sicherheit nachzudenken oder über die Möglichkeit, dass wir einander nie mehr wiedersehen werden. Stattdessen reite ich einfach weiter und versuche, meinen Weg aus dem Wald herauszufinden.
Ich habe keine Ahnung, ob ich tatsächlich die richtige Richtung eingeschlagen habe, und so ist meine Erleichterung umso größer, als ich auf die geheimnisvolle Steinsäule stoße, die aus dem laubbedeckten Waldboden ragt. Plötzlich fühle ich mich nicht mehr allein, und ich reite mit neuem Selbstvertrauen an der Säule vorbei zu der Lichtung, die ich dort vor mir weiß. Nach einer Weile glimmt Hoffnung in mir auf. Ich fange an zu glauben, dass ich es tatsächlich in die Sicherheit der Stadt, in die Geborgenheit einer Kirche, schaffen kann.
Aber dann höre ich das Pferd hinter mir, das rasch näher kommt. Ich werfe einen Blick zurück und erstarre vor Schreck.
Die Seelen sind mir nicht länger auf den Fersen. Nein. Sie sind auf Dimitris Trick hereingefallen und ihm gefolgt. Aber nicht alle. Eine verlorene Seele ließ sich nicht täuschen. Eine hat unsere Charade durchschaut.
Es ist der blonde Mann, der die Horde anführte, als ich ihr Bild im Wasser des Flusses sah. Sein Pferd jagt mir nach, und ich gebe Sargent erneut die Sporen, will einen so großen Vorsprung herausreiten, dass ich Zeit habe, um mir ein Versteck zu suchen.
Er fällt zurück, und Sargent wächst über sich hinaus. Seine Hufe berühren kaum noch den Waldboden, so schnell läuft er. Der Wind treibt mir die Tränen in die Augen. Schließlich erkenne ich vor mir das offene Land. Ohne ein weiteres Mal hinter mich zu blicken, lenke ich Sargent auf den Waldrand zu, hinter dem die Felder und das steinerne Bauernhaus liegen. Ich reite hinten am Haupthaus vorbei zur Scheune. Erleichtert sehe ich das Tor offen stehen.
Noch im Galopp treibe ich Sargent in die Schatten der Scheune und springe von seinem Rücken, ehe er gänzlich zum Stehen gekommen ist. Ein schneller Blick zeigt mir, dass in der Scheune drei Pferde stehen.
Drei Pferde. Aber es gibt sechs Boxen.
Ich führe Sargent in eine der leeren Boxen, sattle ihn in Windeseile ab. Dann verlasse ich die Box, verriegle die Tür hinter mir und schaue mich nach einem Versteck um. Mein Blick fällt auf den Heuboden.
Dank meiner Hosen ist es kein Problem, die Leiter hinaufzuklettern. In wenigen Sekunden bin ich oben und zwänge mich zwischen Werkzeugkisten und aufgestapelte Pferdedecken, während das Geräusch von Pferdehufen der Scheune immer näher kommt. In meinem Versteck nehme ich meinen Rucksack vom Rücken und hole den Dolch heraus. Mit dem juwelenbesetzten Griff zwischen den Fingern fühle ich mich besser. Samaels Leibwächter steckt im Körper eines Mannes. Er blutet, wenn man ihn schneidet, wie jeder Mensch.
Staubflocken glitzern in den Strahlen der Nachmittagssonne, die durch die Ritzen zwischen den Bretterwänden der Scheune hindurchfallen. Im Inneren ist es ziemlich dämmrig, bis auf jene dünnen Lichtspeere, und ich denke, dass mich niemand sehen kann, während mir ein – wenn auch kleines – Guckloch zwischen den Gerätschaften bleibt, hinter denen ich mich ducke. Durch dieses Loch hindurch kann ich den Scheunenboden
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