Liebe unter Fischen
sie noch klein war.
» Hast du es mit einer Escortagentur versucht ?« , fragte sie.
» Ich habe überlegt«, antwortete Susanne, » aber weißt du, was das kostet ?«
» Ach so, ich bin die Billiglösung !«
» Aber nein! Die Frauen dort – die haben kein Niveau. Nicht so wie du! Bitte, Lisi !«
» Du drückerisierst mich !« , protestierte Lisi.
Susanne seufzte und steckte das soeben auserwählte Grissini wieder in das Glas zurück: » Nichts für ungut, Lisi. Du hast recht, es ist idiotisch. Ich sah eben keinen anderen Ausweg mehr. Es war eine Verzwei fl ungstat. Ich dachte, es würde dir vielleicht Spaß machen. Sozusagen die letzte Chance zu sein .«
Das war wieder einmal typisch Susanne, dachte Lisi. Sie hat eine Gabe, an der richtigen Stelle Druck rauszunehmen. Und zwar den ganzen Druck auf einmal. Dann wirst du wie von einem Vakuum hineingezogen und machst, was sie will, ohne es überhaupt zu bemerken.
» Dann genießen wir noch den schönen Abend hier«, seufzte Susanne. » Die Wohnung werde ich mir nämlich auch nicht mehr leisten können .«
Eine Flasche Prosecco später war es Lisi, die Grissini in sich hineinstopfte. Dinkelgrissini. Was hatte sie nicht alles gemacht in den letzten Jahren? Mal Salsa, mal Samba, mal Body-Workshop, mal Buddha-Retreat, Karma und Dharma, Craneosakrales und Pilates, Ausdruckstanz, Imagination, Improvisation, Naturgeister I , Naturgeister II , Bachblüten, Ayurveda, Stimmtraining, Atemseminar, Theater der Unterdrückten … Fast nichts Menschliches und wenig Göttliches war ihr fremd. All das hatte ihren Horizont erweitert und ihre Geldbörse geleert.
Was Susanne ihr anbot war im Prinzip ein Job wie jeder andere. Und jetzt, da ihre Tochter aus dem Haus war und ihr Ex-Mann keine Alimente mehr zahlte, brauchte sie jedes Zusatzeinkommen ganz dringend, auch wenn sie sich einigermaßen mit den regelmäßigen Einsätzen für ein großes, auf Filmcrews spezialisiertes Catering-Unternehmen über Wasser hielt. Sie war für Organisation und Anlieferung zuständig und mochte die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Küche und Set. Der nächste Dreh startete erst Mitte August, und dieser Zwischen-Job kam ihr eigentlich gelegen.
Doch im Laufe langer Abende neigte Lisi dazu, sentimental zu werden, und sie hasste sich selbst, wenn sie ihre Mitmenschen mit dieser Mischung aus Selbstüberschätzung und Selbstmitleid überschüttete. Gerade wollte sie ansetzen, von ihrer Kindheit zu erzählen: » Und mein Bruder, der hat einfach alles richtig gemacht. Er ist Arzt geworden, wie Vater, Orthopäde, wie Vater, BMW -Fahrer, wie Vater, doppelter Vater, wie Vater«, aber sie wusste schon, sie musste jetzt aufhören, denn sie hatte aus dem Buch » Jetzt und hier« gelernt, dass Selbstüberschätzung und Selbstmitleid die niedrigsten Äußerungen des Ego darstellten. Aber sie war nun leider bereits in Fahrt gekommen.
» Du hast es ja gut«, sagte Lisi. » Ich, ich wohne jetzt ganz alleine. Und ich habe kein Geld !«
Susanne antwortete gelassen: » Lisi, ich darf dich darauf aufmerksam machen, dass beides auch auf mich zutrifft .«
» Aber ich«, setzte Lisi nach, » ich bin von meiner Schauspielagentin aus dem Angebot der Agentur ausgemustert worden, mit den Worten: Sie haben schließlich nichts davon, wenn Sie als Karteileiche geführt werden .«
» Du hast es mir bereits erzählt«, seufzte Susanne.
Lisi schwieg beleidigt und dachte nach. Zugegeben, die Eckdaten ihrer Künstlerbiografie erwiesen sich bei näherer Betrachtung als relativ dürftig. In Wahrheit bedurfte es dazu keiner näheren Betrachtung. Man sah es aus weiter Ferne, Elisabeth Halbig aus Troisdorf bei Köln war eine Niete. Das, hätte Lisi losschluchzen können, ist das einzige, was ich wirklich richtig kann: eine Niete sein.
Sprachen: Hochdeutsch, Kölsch
Ausbildung: Stimmtraining, Theater der Unterdrückten, Improvisation ( 3 Workshops), Atmung (Abschlussdiplom)
Bisherige Engagements: F. Schiller, Kabale und Liebe, Rolle der Luise
(Es stand nicht dabei, wann sie diese Hauptrolle der Weltliteratur verkörpert hatte, und auch nicht, dass es sich bei dem Au ff ührungsort um den Turnsaal des nach dem Dichter benannten Gymnasiums gehandelt hatte.)
Weitere Rollen: Apachin in » Winnetou III « bei den Karl-May-Festwochen in Bad Winzenberg. (Es wurde weder erwähnt, dass es sich um eine stumme Rolle handelte, noch, dass Lisi eine von etwa zwanzig Apachinnen war, sowie, dass es die Hauptaufgabe dieser Apachinnen
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