Liebe unter kaltem Himmel
Mangel an Beweisen, hieß es. Zum Teufel mit Beweisen, dem brauchte man nur ins Gesicht zu sehen, dann wusste man, wer es gewesen ist, der ganze Nachmittag für die Katz, der Admiral und ich treten zurück.«
»Dann müsst ihr mich eben von dort holen lassen«, sagte Jassy, »sauer eingelegt. Ich bezahle es auch, das schwöre ich. Bitte, Fa, ihr müsst.«
»Schreib’s auf«, sagte Onkel Matthew und holte ein Blatt Papier und einen Füllfederhalter heraus, »wenn solche Dinge nicht schriftlich festgehalten werden, vergisst man sie. Außerdem hätte ich, bitte schön, gern eine Anzahlung von zehn Shilling.«
»Du kannst sie von meinem Geburtstagsgeschenk abziehen«, sagte Jassy, während sie sehr konzentriert kritzelte. »Hier, ich habe eine Karte gezeichnet, wie in der Schatzinsel . Sieh mal.«
»Ja, danke. Daraus geht alles hervor«, sagte Onkel Matthew. Er trat an die Wand, nahm seinen Hauptschlüssel aus der Tasche, öffnete einen Safe und legte das Blatt hinein. In jedem Zimmer in Alconleigh gab es solche Wandsafes, deren Inhalt einen Einbrecher, dem es gelungen wäre, sie zu öffnen, in Erstaunen versetzt hätte. Tante Sadies Schmuckstücke, unter denen es einige sehr gute Steine gab, wurden nie darin aufbewahrt, sie lagen glitzernd überall in Haus und Garten herum, wo Tante Sadie sie gerade abgelegt und nachher vergessen hatte, neben dem Waschbecken im unteren Stock, neben der Blumenrabatte, in der sie Unkraut gejätet hatte, in der Waschküche, weil sie damit irgendeinen abgerissenen Träger an einem Kleid festgesteckt hatte. Ihre großen Juwelen für festliche Anlässe lagen auf der Bank. Onkel Matthew selbst besaß keinen Schmuck und verachtete alle Männer, die dergleichen besaßen. (Boys Siegelring und seine Uhrkette aus Platin mit Perlenverzierung für den Abendanzug waren ein häufiger Anlass für heftiges Zähneknirschen.) Onkel Matthews eigene Uhr war ein laut tickender Mechanismus aus Kanonenmetall, der zweimal am Tag anhand eines Chronometers im Geschäftszimmer mit der mittleren Greenwich-Zeit verglichen wurde und angeblich drei Sekunden in der Woche vorging. Sie war an seinem Schlüsselring befestigt, und zwar mit einem einfachen, unter seiner Moleskinweste entlanglaufenden Lederschnürsenkel, in den Tante Sadie oft Knoten machte, um ihn an irgendetwas zu erinnern.
Trotzdem waren die Safes voller Schätze, wenn auch nicht voller Wertsachen, denn Onkel Matthews Schätze waren Objekte von esoterischem Wert, etwa der auf seinem Grund und Boden ausgegrabene Stein, unter dem angeblich zweitausend Jahre lang eine Kröte bei lebendigem Leib gefangen gesessen hatte; Lindas erste Schuhe; das von einer Eule wieder ausgespiene Skelett einer Maus; eine winzige Pistole, mit der man Schmeißfliegen erschießen konnte; Haar von allen seinen Kindern, zu einem Armreif geflochten; ein Scherenschnitt von Tante Sadie, den sie von einer Kirmes mitgebracht hatten; eine Nuss mit Schnitzereien; ein Flaschenschiff; alles in allem ein Sammelsurium aus Empfindsamkeit, Naturgeschichte und verschiedenen Kleinigkeiten, die irgendwann einmal Onkel Matthews Phantasie angeregt hatten.
»Los, lass mal sehen«, sagten Jassy und Victoria und stürzten zu der Tür in der Wand hinüber. Es war immer sehr aufregend, wenn die Safes geöffnet wurden, denn es geschah nur selten, und einen Blick hineinzuwerfen war etwas Besonderes.
»Oh! Das nette Stückchen Schrapnell, darf ich es mal haben?«
»Nein, darfst du nicht. Das hat mir mal eine ganze Woche in der Leiste gesteckt.«
»Wo wir gerade vom Tod sprechen«, sagte Davey. »Als größtes medizinisches Wunder unserer Tage muss die Tatsache gelten, dass Matthew immer noch unter uns weilt.«
»Es zeigt nur«, sagte Tante Sadie, »dass es kommt, wie es kommt, warum also all diese furchtbaren Anstrengungen, am Leben zu bleiben?«
»Oh, aber die Anstrengung ist doch gerade das Schöne daran«, meinte Davey, und diesmal sprach er die Wahrheit.
13
Ich glaube, es war ungefähr vierzehn Tage nach der Beerdigung von Lady Patricia, als Onkel Matthew nach dem Lunch mit der Uhr in der Hand draußen vor der Tür stand, drohende Blicke um sich warf und unter heftigem Zähneknirschen das größte Ereignis des ganzen Jahres erwartete, das nachmittägliche Döbel-Beduseln. Der Döbel-Beduseler sollte um halb drei da sein.
»Dreiundzwanzig und eine Viertel Minute nach«, schimpfte Onkel Matthew vor sich hin, »in genau sechsdreiviertel Minuten ist der verdammte Kerl überfällig.«
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