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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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die nicht vor der vereinbarten Zeit da waren, betrachtete Onkel Matthew immer als zu spät gekommen. Schon eine halbe Stunde vorher begann er unruhig zu werden, vertat auf diese Weise genauso viel Zeit wie Leute, die überhaupt nicht auf die Zeit achten, und geriet außerdem noch in sehr schlechte Laune.
    Der berühmte Forellenbach, der unterhalb von Alconleigh durchs Tal lief, war eines der Besitztümer, die Onkel Matthew ganz besonders liebte. Mein Onkel war ein ausgezeichneter Angler und am glücklichsten immer dann, wenn er sich während oder außerhalb der Fangzeit in Wasserstiefeln am Fluss herumtrieb und sich für seine Anlagen großartige Verbesserungen ausdachte. Hier war der Traum eines kleinen Jungen wahr geworden. Er baute Dämme und Wehre, schnitt Unkraut und säuberte die Ufer, erlegte Fischreiher, machte Jagd auf Fischotter und setzte jedes Jahr junge Forellen aus. Aber die größeren Raubfische machten ihm Schwierigkeiten, vor allem die Döbel, die nicht nur die jungen Forellen, sondern auch deren Nahrung fraßen und ihm deshalb außerordentlich zuwider waren. Da stieß er eines Tages in Börse und Markt auf eine Annonce: »Bestellen Sie den Döbel-Beduseler«.
    Die Radletts behaupteten immer, ihr Vater habe nie lesen gelernt, aber in Wirklichkeit konnte er sehr gut lesen, sofern ihn das Thema wirklich faszinierte, und der Beweis dafür ist, dass er den Döbel-Beduseler ganz allein gefunden hat. Sofort setzte er sich hin und bestellte ihn. Es dauerte einige Zeit, in der er, schwer atmend und tief über das Schreibpapier gebeugt, wie immer mehrere Abschriften anfertigte, bis er seinen Brief schließlich versiegelte und frankierte.
    »Der Kerl schreibt, man soll einen adressierten Freiumschlag beilegen, aber da kann er lange warten, entweder er kommt, oder er lässt es bleiben.«
    Er kam. Er ging am Ufer entlang und säte Zauberkörner auf dem Wasser aus, die bald eine magische Wirkung taten, denn zuckend, um sich schlagend, der Ohnmacht nahe, nach Luft schnappend, gründlich und unzweifelhaft beduselt, kamen Hunderte und Aberhunderte von Döbeln an die Oberfläche. Die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes, die vorher unterrichtet worden war und sich, mit Rechen und Keschern bewaffnet, am Ufer eingefunden hatte, fiel über die Fische her, füllte mehrere Schubkarren mit ihnen und schaffte die Beute davon, um sie als Dünger in den Bauerngärten zu verwenden oder aber Döbel-Pie daraus zu bereiten, je nach Geschmack.
    Von da an wurde das Döbel-Beduseln zu einem alljährlich wiederkehrenden Ereignis in Alconleigh. Regelmäßig mit den Schneeglöckchen erschien auch der Beduseler, und ihm bei der Arbeit zuzusehen wurde niemals langweilig. Auch diesmal erwarteten wir ihn alle, Onkel Matthew draußen vor der Tür, heftig auf und ab gehend, wir anderen der bitteren Kälte wegen drinnen am Fenster, während sich alle Männer des Hofgutes schon in Gruppen unten am Fluss versammelt hatten.
    Niemand wollte den Augenblick des Beduselns verpassen, selbst Tante Sadie nicht. Bloß Davey hatte sich auf sein Zimmer zurückgezogen und erklärt: »Ich bin nicht wild darauf, schon gar nicht bei diesem Wetter.«
    Das Geräusch eines näher kommenden Autos wurde vernehmbar, das Knirschen der Räder, ein leises, sonores Hupen, und gerade als Onkel Matthew mit einem letzten Blick auf das Zifferblatt seine Uhr in die Tasche zurückschob, erschien in der Zufahrt nicht etwa der kleine Standard des Döbel-Beduselers, sondern der riesige schwarze Daimler aus Hampton Park mit Lord und Lady Montdore. Das war nun wirklich eine Sensation! Besucher waren in Alconleigh unbekannt, denn jedem, der dieses Experiment unvorsichtigerweise einmal unternommen hatte, waren weder Tante Sadie noch die Kinder je zu Gesicht gekommen, sie hatten vielmehr, jedem Blick entzogen, flach auf dem Fußboden gelegen, wohingegen Onkel Matthew mit einem bedrohlichen Funkeln in den Augen deutlich sichtbar am Fenster stand, während dem Besucher unten mitgeteilt wurde, es sei »niemand zu Hause«. Die Nachbarn wussten, dass es aussichtslos war, und hatten ihre Versuche längst eingestellt. Hinzu kam noch, dass die Montdores sich als das Königspaar der näheren Umgebung betrachteten und deshalb nie Besuche machten, sondern erwarteten, dass die Leute zu ihnen kamen – die ganze Sache war also in jeder Hinsicht äußerst rätselhaft. Ich bin ziemlich sicher, dass Onkel Matthew jedem anderen, der es gewagt hätte, die freudige Aussicht auf ein

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