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Liebe wird oft überbewertet

Liebe wird oft überbewertet

Titel: Liebe wird oft überbewertet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Rösinger
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im Gehen das ganze Spiel verfolgen kann. Der liebliche Ton der Vuvuzelas begleitet den Spaziergang, ebbt manchmal etwas ab und schwillt wieder an, wenn man sich dem nächsten Bildschirm nähert. Abends auf dem Balkon dröhnen die Vuvuzelas aus den Lautsprechern der umliegenden Bars und mischen sich mit dem Fernsehersound, der durch die geöffneten Fenster der Wohnhäuser kommt.
    Die schwermütige Vuvuzela passt gut zu dem Geruch der Linden, dieser wehmütige Sommergeruch, der so sehr mit Berlin verbunden ist, eigentlich wie ein billiges, zu süßes H&M-Parfüm, und trotzdem macht er so sehnsüchtig, als erinnere man sich jedes Jahr wieder an eine vergebliche Sommerliebe, an eine Enttäuschung, die aber so weit zurückliegt, dass sie nicht mehr wirklich weh tut, sondern nur noch diese schöne Wehmut transportiert.
    Seltsamerweise geht es aber ganz vielen Menschen im Sommer so mit dem Geruch der Linden, und keiner, den man fragt, kann ihn mit einer persönlich-biographischen Traurigkeit verbinden. Vielleicht ist es die Ahnung, dass jetzt, wo der Sommer da ist, die Zeit immer schneller vergeht und wie jedes Jahr alles Schöne zu schnell vorbei sein wird. Aber vielleicht enthält der Lindenduft dann doch wieder nur einen Botenstoff, der Melancholie und Wehmut im Gehirn auslöst? Ist denn alles, jeder Gemütszustand einzig und allein auf biologische Funktionen, auf die Chemie zurückzuführen? Sind wir denn wirklich der Chemie hilflos ausgeliefert?

Die Chemie der Liebe oder der ehrbare Beruf des Liebesforschers
    Seit etwa zwanzig Jahren schon hat die Naturwissenschaft bei der Liebesforschung das Sagen, interessieren die sozial- und geisteswissenschaftlichen Thesen zum Thema weniger.
    Wo vorher die Geisteswissenschaften zur Klärung herangezogen wurden, wo man über die politisch-ökonomischen, kulturhistorischen Gegebenheiten nachdachte, unter denen Menschen so leben, vertraut man jetzt der Evolutionsbiologie und der Chemie, werden die biologischen Einflüsse als ur-eigentliche, unverbrüchliche angesehen. Hinter dieser Hinwendung zur Chemie und Biologie steckt vielleicht auch der Wunsch, die Verantwortung für das eigene Verhalten abzugeben: Wir können nix machen, wir sind ausgeliefert, wir sind Sklaven unserer Chemie und der Botenstoffe!
    Seit Mitte der neunziger Jahre tauchen vermehrt Artikel auf über »Die Hormone als Regisseure der Liebe«, über geheimnisvolle Sexuallockstoffe, körpereigene Opiate, endogene Endorphine, über den »Dialog der Düfte«, den es zu entschlüsseln gilt. Man berichtet über die chemischen Hintergründe von Zärtlichkeit und Treue, darüber, wie Moleküle unsere Emotionen steuern, über die geheimen Wirkstoffe der Liebe und wie unser Hormonhaushalt angeblich Achterbahn fährt, wenn wir verliebt sind.
    Die altbekannten Geschlechtshormone und chemischen Botenstoffe wie Testosteron und Östrogen sind zurzeit aber schon wieder out – schließlich kommen sie bei Männern und Frauen vor, können die unterschiedlichsten Dinge bewirken und eignen sich daher nicht so gut für die zurzeit so beliebten »Warum Frauen so und Männer so sind«-Aussagen. Aber das Oxytocin erlebte als beliebtestes Hormon in den letzten Jahren großen Aufschwung.
    Oxytocin gilt als wichtiges Liebeshormon. Es wird vom Hypothalamus produziert und kann entweder im Gehirn selbst an bestimmten Nervenzellen wirken oder im übrigen Körper, wenn es von der Hirnanhangdrüse in winzigen Mengen abgegeben wird und ins Blut gelangt. Zwar spielt es hauptsächlich bei der Geburt und beim Stillen eine Rolle, es gilt aber heute als Kuschelhormon, Bindungshormon und Treuehormon, denn beim Orgasmus werden hohe Dosen Oxytocin freigesetzt, die dann angeblich die Paarbindung unterstützen.
    Larry J. Young, Professor für Psychatrie und Verhaltensforschung an der Universität Atlanta, hält es in seinem Essay »Love. Neuroscience Reveals All« für höchstwahrscheinlich, dass es bei beständigen sozialen Bindungen eine gemeinsame neurologische Basis von Tieren und Menschen gibt.
    Sowohl bei Menschen als auch bei Ratten oder Schafen wird während des Geburtsvorgangs und beim Stillen das Hormon Oxytocin ausgeschüttet. Mutterschafe, denen Oxytocin gespritzt wird, binden sich sehr schnell an ein fremdes Lamm. Noch sensationellere Forschungsergebnisse zum Thema Paarbindung haben wir aber ausgerechnet der kleinen Präriewühlmaus zu verdanken.
    Bahnbrechende Untersuchungen an Prärie- und Bergwühlmäusen lassen Forscher vermuten, dass das

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