Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
aufgepinselt ist: die Vertreter der drei Urkantone auf der Rütliwiese über dem Vierwaldstätter See, ewige Freiheit und Brüderlichkeit schwörend.
Zum Abschied ruft Krüpki: «Denn kriegt mal eure Hintern wieder hoch, die Zeit läuft, haut mal rinn jetze, und labert mir nicht stundenlang die Ohren zu!» Dann lässt er sich von der wieder still gewordenen Nacht verschlucken.
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Herzbolzen
Die Esel und das Pferd waren in den Stall gekommen und schnorchelten mit halb geschlossenen Augen schläfrig vor sich hin, die Schafe auf der Weide mümmelten ein letztes Gute-Nacht-Kräutlein und machten sich daran, eines nach dem anderen auf der großen Wiese nach Auswahlkriterien, die nur ihnen begreiflich waren, den perfekten Schafschlafplatz zu finden. Der Nachttau senkte sich über die Weiten des Brandenburger Landes. Es war «schattig» geworden, wie Sonja zu sagen pflegt, wenn die Temperaturen anziehen und einem die Kälte langsam, aber stetig in die Glieder kriecht.
Jakob und ich standen noch immer in der Scheune. Unsere Finger umklammerten wärmende Tassen mit dampfendem Kaffee. Eigentlich hatten wir es gut sein lassen wollen, für heute. Wir lagen bestens im Zeitplan, die neue Kupplungsscheibe war bereits in den Eingeweiden des Hürlimanns implantiert, morgen würden wir wieder zusammenfügen, was zusammengehörte, und wenn es gut lief, könnte die Probefahrt bereits innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden stattfinden. «Gut, hab ich noch Resärve-Tag eingerechnet.»
Warum wir diesen Abschlusskaffee nicht in der warmen Küche getrunken haben, sondern in der ungemütlichen Kühle der Scheune, ist im Rückblick nicht leicht zu erklären. Vielleicht verspürten wir eine leise Scheu, den armen Hürlimann allein zu lassen, zerlegt und hilflos, wie er war. Vielleicht mochten wir uns nicht trennen von der Scheune, die im Laufe des Tages zu unserem Spielzimmer geworden war, so wie kleine Jungs sich schwer von ihrer Modelleisenbahn trennen. Vielleicht mussten wir erst mal in Ruhe jene vertraute Zweisamkeit ausklingen lassen, die sich durch das gemeinsame Tun eingestellt hatte. Wahrscheinlich war es eine Melange aus all dem.
Jedenfalls standen wir mit unseren Kaffees frierend in der Scheune, umgeben von Werkzeug, Hürlimann-Teilen, Stützhölzern und Putzlappen. Der Zufall, vielleicht sogar das Schicksal wollte es, dass wir uns exakt vor dem Lenkgestänge mit den an der Vorderachse verdrehten Rädern postiert hatten. Ich bewunderte die Genialität der Hürlimann-Konstrukteure der sechziger Jahre, die eine damals revolutionäre Verbesserung ersonnen hatten: die Einzelradaufhängung für Traktoren! Eine bewegliche Vorderachse, die sich automatisch an den unebenen Boden anpasst, was Fahrkomfort und Sicherheit erheblich verbesserte. Damit sie Unebenheiten abfedern und ausgleichen konnte, wurde sie in eine linke und eine rechten Hälfte geteilt, verbunden durch ein mächtiges Gelenk. Jetzt lag dieses Gelenk zerlegt zu unseren Füßen, nackich und bloß ausgesetzt unseren bewundernden Blicken.
«Die waren einfach gut, die alten Ingenieure», entfährt es mir. «Schon dieses Achsgelenk, schau dir das an: klassisch einfache Konstruktion. Stabil, übersichtlich, und es funktioniert.»
«Ja», sinniert Jakob. «Zwei mächtige Gelänkbäggli, den Herzbolzen durchgeschoben, fertig. Hält wie d’ Sou und bewegt sich doch.» Er bückt sich und fasst nach dem Herzbolzen. «Aber das Bölzli hat es dann in sich. Das muss ja ’s ganzi Gewicht vom Motor- und vom Getriebeblock tragen. Zusätzlich muss er die härtesten Schläge der Vorderräder können uuffange. Und da vorn ist er auch noch mit der Hängerkupplung verbunden. Und außerdem sicheret der Herzbolzen den Traktor auch noch in sich selbst ab, siehst du, Dieter, dahinten an der Nut rastet dann der Getriebeblock ein. Das hat also vily Funktionen, das Herzbölzli.»
«Kein Wunder, dass er
Herz
bolzen genannt wird …», philosophierte ich.
«Ja, der ischt dann also aus ganz enorm speziellem Edelstahl. Super hart aber dennoch relativ elastisch, sonst würde er ja brechen.» Jakob stellt seine Kaffeetasse auf den Boden, zieht den dicken Herzbolzen aus dem Gelenk und zeigt ihn mir. «E schöns Stückli Stahl! Uf de Hundertschtel genau gedreht. Dafür brauchscht du eine Spezialdrehbank, die muss mit diesem enormen Härtegrad fertig …» Jakob stockt. «Ja Huäräsiech, was isch dänn das? Ja Gopfertammi, das isch gar nöd gut!» Jakob starrt wie vom
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