Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
Ihnen über Berge, Banken und Bonzen mit ‹verbrochenem› Herzen plaudern, aber», sie senkt ihre auffallend schöne dunkle Stimme, «aber ich bin leider ziemlich im Druck. Die Tanker-Spanten für Dubai müssen raus, und die Araber sind ziemlich kompliziert, seit die Amis … egal. Also nehmen Sie’s bitte nicht persönlich, aber ich kann mich nicht auch noch um Ihren Herzens-Dingsda kümmern.»
«Ja, dann halt …» Enttäuscht lässt Jakob den Herzbolzen vom Tresen herunter in seine Hand rollen. Die Frau richtet sich wieder auf. «Waren Sie denn schon inner Dreherei?»
«Nei», sagt Jakob. «Also inner … in einer Dreherei scho, in mehreren, aber nicht hier in der da.»
«Wat denn nu? Waren Se oder waren Se nicht?» Sie wendet den Kopf in meine Richtung. «Können Se vielleicht mal dolmetschen? Ihr Schweizer Kumpel ist mir zwar nicht unsympathisch, wa, aber det Sprachliche, da kommen wir nicht wirklich zusammen.»
«Wo ist die Dreherei?», frage ich knapp.
«Richtung Oder, beim Drehkran links, an der Montagehalle vorbei und dann gleich wieder rechts, neben dem hohen Kamin.»
«Danke, komm Jakob.» Ich ziehe ihn Richtung Tür.
«Jederzeit gerne wieder», ruft uns die Frau nach. Wirklich, eine schöne Stimme.
«Das gäbe es bei uns nicht, dass sich da die Frömden in einem so großen Betriebsgelände frei bewegen können. Die wollte ja nicht mal einen Uswies gseh, oder so …» Jakob marschiert neben mir über den Asphalt.
«Sie hat eben beschlossen, dir zu vertrauen. Hier zählen die Menschen, nicht die Ausweise», erkläre ich und spüre, wie in mir plötzlich ein unerklärlicher Stolz auf meine Wahlheimat aufsteigt.
«Ja, die ischt mir aber au nicht glych, diä Frau, du. Die isch ziemlich schnäll mit dem Maul, weisch. Aber eigentlich ja nett. Sehr nett.»
«Da hast du sie», lache ich, «die Brandenburger Variante von Nettsein.»
Wir überqueren die Schienen, auf denen gravitätisch die Kräne hin- und herrollen, und nähern uns dem Fluss.
«Das hätt ich nie gedacht, dass die hier solche Riesenteili fertigen. Wenn wir da jetzt mit unserem chline Bölzli daherkommen, die lachen uns doch us, weisch», gibt Jakob zu bedenken. «Und schau mal, da isch ja richtig öppis los, du, also die sind doch zugeplant bis über die Ohren, da müssen wir nichts wollen, hab ich’s Gfühl, du, die sind ein paar Nummere z’ groß für uns, weisch.»
Ich antworte nicht. Was hatte Müsebeck gesagt, gestern Nacht? «Man müsst halt mal reden mit denen, dann wüsste man’s.» Seltsam, dass wir Schweizer so sehr dazu neigen, uns vorab auszumalen, wie es sein würde und was der andere dann sagen würde und was man dann darauf sagen würde, dass aber der andere sicher recht hätte, mit dem was er sagen würde, und dass es ja dann deswegen nichts würde, ganz sicher nicht, weil es ja bestimmt so sein würde, wie man denkt, dass es sein würde, sodass man, jetzt, wo man ja weiß, wie es sein würde, gleich gar nicht mehr hingeht, weil es ja, so wie es sein würde, unter jeder Würde sein würde.
«Ja gut», entscheidet Jakob, «jetzt gömmer halt hin, wo wir schon da sind, und dann reden wir mal mit denen, dann wüssed mer’s.» Das Schöne an Freundschaft: Gedankenübertragung funktioniert wirklich.
«Schau, da ist der Kamin», sage ich und biege rechts ab.
Als wir die Dreherei betreten, umfängt uns augenblicklich Getöse und der charakteristische Duft von Metallspänen, Öl und heißen Elektromotoren. Jakob saugt den Brodem genussvoll ein. «Da simmer richtig», schreit er gegen den Lärm der Drehbänke an. Und gemeinschaftlich schreien wir nun die Männer mit den blauen Overalls und den gelben Ohrschützern an, von Drehbank zu Drehbank ziehend, einen nach dem anderen: «Sagt Ihnen der Name Müsebeck etwas?» Es ist immer das gleiche Ritual: Schreien der Frage, Kopfschütteln seitens des Angeschrienen, Deuten auf den Ohrschutz, leichtes Lüpfen desselben, nochmaliges Brüllen der Frage. Danach werden wir unsererseits angebrüllt, in verschiedenen Varianten: «Nööö!» «Unbekannt!» «Warum, was hat der denn angestellt?» Bis einer der Dreher, ein langer, hagerer Mann, nickt, mit dem Finger zum Ausgang zeigt, losmarschiert und uns winkend auffordert, zu folgen.
«Sucht ihr Müsebeck?», fragt er, als wir wieder vor der Dreherei stehen, und zieht den Hörschutz vom Kopf.
«Nein, wir suchen den Vater von einem Kumpel vom Neffen vom Bauern Müsebeck in Amerika», erkläre ich zaghaft. Nicht gerade eine
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