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Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Lieber einmal mehr als mehrmals weniger

Titel: Lieber einmal mehr als mehrmals weniger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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effiziente Personenbeschreibung, die ich da zum Besten gebe. Warum hat uns Müsebeck nicht einfach den Namen vom Vater des Kumpels seines Neffen genannt?, überlege ich. Doch ich kenne die Antwort: Vor meinem inneren Auge taucht Müsebecks grinsendes Gesicht auf: «Haste mich gefragt?» Nein, habe ich nicht, verdammt.
    Der Hagere blickt mir ins Gesicht. Von seiner asketischen Miene ist nicht abzulesen, ob er mich für verrückt hält oder auf weitere Information wartet. Die habe ich ohnehin nicht, also wiederhole ich langsamer: «Wir suchen den Vater … von einem Kumpel … vom Neffen … vom Bauern Müsebeck …»
    «… in Amerika, hab ick schon begriffen», unterbricht der Hagere. «Det bin ich. Worum geht’s?»
    «Um ein Herzbolze», sagt Jakob und hält ihm die Stahlstange entgegen. Mit der anderen Hand fügt er das kleinere abgebrochene Stück dazu. Der Dreher lächelt schief. «Det is extra gehärteter Edelstahl, den kann man nicht wieder zusammenschweißen.»
    «Ja, das isch mir auch klar.» Jakob muss ebenfalls lächeln.
    «Schweiz», sagt der Mann.
    «Ja, ich komm aus de Schwyz», antwortet Jakob wegwerfend.
    «Den Stahl mein ich, det ist Schweizer Edelstahl.»
    «Ah, das sehen Sie? Alle Achtig!» Jakob ist ehrlich überrascht.
    «Det hör ich. An Ihrem Akzeng.»
    Nun hat er es geschafft: Jakob ist vollkommen aus dem Konzept.
    «Schon gut, Kumpel, war bloß ein Schuss ins Blaue. Dachte mir, wenn du von dort bist, ist dein Bolzen wohl auch von dort.» Der Hagere verzieht keine Miene. «Zigarette?», fragt er schließlich. Er zieht ein Päckchen aus dem blauen Overall und bietet an. Wir greifen zu. Feuerzeuge klicken, drei Gluten glimmen, Rauch wird eingeatmet und in den blauen Himmel geblasen.
    «Also, ihr braucht det Ding in neu», kommt der Hagere zur Sache. «Kein Problem, aber solchen Stahl, den verwenden wir im Schiffsbau nicht.»
    «Ja, genau das han ich befürchtet», stöhnt Jakob.
    «Wir drehen Wellen für Schiffsmotoren. Da ist dieser Stahl zu brüchig für.» Er nimmt Jakob den Bolzen aus der Hand.
    «Und was nehmt ihr denn dann?»
    «Titan», erwidert der Hagere, wiegt unseren Bolzen in seiner Hand.
    «Titan?» Jakob zieht die Augenbrauen hoch. «Ja, das isch dann natürlich die ganz edle Variante.»
    «Also, aus Titan könnten wir euch den machen. Dauert aber.»
    Jakob und ich wechseln sorgenvolle Blicke. Dann wage ich die Frage, die über Verlust oder Gewinn unserer Mechaniker-Ehre entscheiden wird: «Mit wie lange müssten wir rechnen?»
    Der Hagere wiegt den Herzbolzen in der Hand auf und ab, während er nachdenkt. Dann sagt er: «Morgen um die Zeit könnt’ern abholen.»
    «Sensationell», entfährt es Jakob.
    Der Hagere schnippt seine Zigarette in den großen Kippeneimer, der neben der Tür steht, öffnet sie und deutet mit dem Kopf Richtung Werkraum. «Kommt mit», fordert er uns auf.
    «Jakob, ich warte hier draußen, während ihr die Details besprecht», kann ich gerade noch anbringen, bevor mein Schweizer Freund, dem Hageren hinterher, begeistert im Lärm der Dreherei verschwindet. Und ich? Ich schlendere, den Rest meiner Zigarette im Mundwinkel, Richtung Oder. Und bin glücklich.

[zur Inhaltsübersicht]
    Geldnot
    Auf der Rückfahrt sprudelt Jakob förmlich. Er erzählt, was für ein guter Typ dieser Sandro doch sei. Ein Dreher von altem Schrot und Korn. Und er, Jakob, hätte ihm seine Idee mit der Verlängerung des Bolzens, damit die Hängerkupplung drehbar werde, nur kurz angedeutet, und Sandro hätte sofort verstanden und hätte vorgeschlagen, eine zusätzliche Nut zu fräsen, mit der man dann die Kupplung … Ach, es sei ja egal, ich würde das sowieso nicht verstehen, jedenfalls hätte der Sandro zur Verbesserung noch eine Verbesserung gehabt, und das sei eben genau das, was immer seltener würde, gute Handwerker mit Köpfchen und einer soliden Ausbildung, und das sei ja ein Paradies hier, weil hier möglich sei, wofür man in der Schweiz zuerst Hunderte von Bewilligungen bei Tausenden von inkompetenten Kompetenzträgern einholen müsste, und hier hätten die eben noch nicht verlernt, den gesunden Menschenverstand einzuschalten …
    Ich genieße Jakobs Monolog bis in die Zehenspitzen, zuckele mit meinem Jeep made in Amerika und meinem Freund made in Switzerland über die Weiten Brandenburgs und finde das Leben ziemlich anstandslos lebenswert.
    «Wann seid ihr denn vom Sie aufs Du umgestiegen?», frage ich Jakob schließlich, als wir uns Amerika bereits wieder

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