Lieber einmal mehr als mehrmals weniger
auf Sylt», bemerkt Karl und beobachtet scharf, ob und wie Gaby auf den Athletenkörper Waldemars reagieren würde. Gaby bleibt anstrengungslos cool. Sie fixiert unbekümmert und offen Waldemars Mitte. «Aha, blitzblau», stellt sie fest, «ist auch Karls Lieblingsfarbe», und deutet auf den blitzblauen VW -Pick-up.
«Ich hoffe, es geniert euch nicht.» Waldemar wedelt mit den Armen. «Aber wisst’s, des ist eine kleine Marotte von mir, noch aus meiner Zeit als Wellenreiter, gell. Ich war ja früher an den schönsten Stränden der Welt zu Hause und habe so manchen Surf-Wettbewerb bestritten, gell. Und seither kann ich, sobald die Sonne brennt, also, dann kann ich einfach gar nichts mehr auf der Haut haben, gell, ich vertrage es einfach nicht, kein Garn, kein Stoff, kein gar nichts, ich reiße es mir herunter, ich muss, sonst leide ich wie ein Hund. So, jetzt langt’s doch endlich zu!»
Wir gruppieren uns um die Hebebühne und lassen es uns schmecken. Es ist wie das Festmahl eines eben gegründeten Kuh-Geheimbunds, ein Hornvieh-Begrüßungsgelage. Und während unsere Kiefer in gewissem Einklang mit den Kiefern der Kühe mampfen, während der Kaffeebecher kreist und der Brezelberg schrumpft, erzählt Waldemar von seinem früheren Leben: von Waldemar, dem Surfer-Boy.
Es sei ein schönes Leben gewesen, der friedliche Zusammenhalt in der Surfszene, trotz aller Konkurrenz in der Welle, die lockere Lebensweise und dennoch das bedingungslose Für-einander-Einstehen, der Kick im Tunnel des Todes, der Respekt vor den ungeheuren Kräften des Wassers. Und natürlich erzählt Waldemar auch von seinen Triumphen, dem Hochgefühl, nachdem er alle Konkurrenten geschlagen hat. Er erzählt, wie er einen Werbevertrag erhielt und in amerikanischen Fernsehspots auftrat, ausgerechnet er, der Kuh-Bua vom hintersten Bayern-Tal kommt ins « US -Telewischen»! Er berichtet, wie er sich dann auf den Handel mit Surfbrettern verlegte, wie gut es lief, sodass er sich ordentlich was auf die hohe Kante hat legen können. Und vom Ende dieses Zugvogellebens, weil seine Mutter starb und er nach Hause zurückmusste, damit der Hof nicht verkauft wurde. Wie er kämpfte um die kleine Landwirtschaft, wie er versuchte durchzukommen, aber einsehen musste: Überleben können heute nur noch die Großbauern und die Agrarkonzerne. Wie er die Kühe dann doch hergeben musste und wie er den Transporter, als er vom Hof rollte, nur verschwommen habe sehen können, weil er die Augen voller Wasser hatte. Und Waldemars Stimme wird sehr leise, als er sich erinnert, wie seine Schatzelen zusammengepfercht im Laderaum voller Angst nach ihm gerufen haben und er nichts tat. Und sie so verraten hat.
Nach einer kleinen Pause und einem Schneuzer ins Gras schimpft er auf den scharfen Radi, der einem die Tränen … und fragt etwas zu laut, warum wir nicht essen würden. Und dann sprudelt es immer schneller aus dem Waldemar heraus, der kommt gar nicht mehr zum Kauen und Schlucken.
Er habe dann ein Stück Land verkauft und mit dem Geld den ersten Transporter angeschafft. Und schnell bemerkt, was für eine Riesen-Depperei er da gemacht habe. In dem Drecksteil seien die Tiere mehr tot als lebendig angekommen, nach ewig langen Fahrten bis Neapel und Südfrankreich. Und er habe Albträume gehabt, die Bilder hätten ihn nicht mehr schlafen lassen, die Bilder von den Rindern, völlig erschöpft und halb verdurstet, kaum noch gehen konnten sie, haben sich einfach hingelegt, um ihre sanfte Rinderseele zu erlösen und zum Himmel auffahren zu lassen. Diese furchtbaren Bilder von den Männern mit ihren spitzen Stäben, ihren Knuten und ihren Elektroschockern, die schreiend auf die geschundenen Kreaturen einschlugen, sie pieksten und aufscheuchten, auf dass sie sich mit letzter Kraft selber in die Schlachtmaschine schleppten. Die Bilder von Rinderbeinen, die keinen Halt finden auf den von Blut und Panikscheiße glitschigen metallenen Laufgängen, die einknicken, brechen, in Todesangst versuchen, weiterzuhaspeln, verzweifelt und vergeblich. Und die Töne, erzählt Waldemar, die Töne ließen ihn in der Nacht mit den Zähnen knirschen, sie wollten nicht aus dem Kopf, die Töne. Ob wir, fragte er, ob wir schon mal eine Kuh in Panik hätten brüllen hören, ob wir ahnen, wie das klingt, wenn es ein Dutzend Kühe sind – oder Hunderte? Da entstünde ein Ton, ein Konzert des Grauens, wie aus der tiefsten Hölle. Er habe es auch nicht gewusst vorher, aber jetzt schon, und diese Töne hätten
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