Lieber Onkel Ömer
Klappmesser-Mahmut?«
»Ach so, ja, den Truthahn-Mahmut, den meine ich. Der Politiker-Mahmut und der Klappmesser-Mahmut sind …«, |201| sagte er, und in dem Moment wurde unser Gespräch unterbrochen. Nur das Geräusch »Klack!« war zu hören.
»Osman, was war das denn für ein komisches Gespräch? Du hast ja nicht viel rausgekriegt. War das wieder einer von diesen unverschämten
Werbeanrufen?«, fragte meine Frau Eminanim neugierig.
»Nein, nein, das war mein Vater. Aber sein Geld hat für die vielen Grüße diesmal nicht ausgereicht. Entweder sind die Telefonpreise
in der Türkei wieder erhöht worden, oder unsere Sippschaft hat erneut Zuwachs bekommen. Ich nehme an, Vater wollte uns wie
jedes Jahr nur ein frohes Ramadanfest wünschen«, sagte ich zu Eminanim.
Das ist natürlich nur eine Vermutung von mir. Kannst du bitte rübergehen und deinen Bruder fragen, ob das wirklich sein einziges
Anliegen war?
So, lieber Onkel Ömer, ich muss jetzt wieder hinaus in das kalte Alamanya, um den Deutschen zum x-ten Male zu erklären, wie
die tapferen Moslems dreißig Tage lang ohne einen einzigen Happen Essen und ohne einen Schluck Wasser überleben können!
Lieber Onkel Ömer, ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die
erfahrenen Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass sich im Ramadan |202| kein einziger Deutscher bei Euch im Dorf blicken lässt und Dich mit unmöglich dämlichen Fragen bombardiert. Aber außer mir
lässt sich ja eigentlich sowieso nie ein Deutscher in unserem Dorf blicken. Aber ich bin ein aufgeklärter Deutscher. Ich weiß,
dass die Moslems im Ramadan nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen dürfen – oder war es umgekehrt?!
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem schon wieder kalten Alamanya
PS: Lieber Onkel Ömer, ich habe langsam den Verdacht, dass diese geheimnisvolle Ümmüyanim gar nicht so geheimnisvoll ist,
sondern Mehmets neue Freundin. Sie haben sich das ganze Zuckerfest über zusammen rumgetrieben. Zugegeben, sie ist nicht der
Frauentyp, den Mehmet sonst bevorzugt, aber die beiden sind ständig am Quatschen. Der Kommunist versucht aus ihr eine Kommunistin
zu machen, damit er auf dieser großen weiten Welt nicht alleine dasteht, nachdem auch noch sein Freund Castro abgedankt hat.
Und meine Tochter Nermin bemüht sich, aus ihr eine Feministin zu machen.
Die Ümmüyanim scheint aber doch eine vernünftige Frau zu sein, sie fällt auf die beiden Spinner nicht rein. Vielleicht kann
sie sich aber nur nicht richtig entscheiden. Ich habe mich aber schon entschieden, ich gehe schlafen. Gute Nacht, lieber Onkel
Ömer!
Tag der Deutschen Einheit
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, Du weißt doch, dass Deutschland bis vor zwanzig Jahren wie eine Wassermelone war. Wie eine reife Wassermelone,
die von der Eselskarre runtergefallen ist: zweigeteilt! Groß – klein, West – Ost, BRD – DDR! Der größere Teil war reich und
frei, der kleinere Teil war arm und abgesperrt und mit einer dicken Mauer drumrum, obwohl es da nichts zu klauen gab, wie
in allen Ostblockländern.
Einigen wenigen Auserwählten hatte die DDR schon erlaubt, ihren Käfig kurz zu verlassen. Im Westen bekamen sie dafür eine
Banane und ein bisschen »Begrüßungsgeld«, damit sie hier nicht jämmerlich verhungerten und wieder zurückgehen konnten. Die
armen Ossis hatten nämlich nicht die gute, alte D-Mark. Für die hatte man eine Spielzeug-Attrappe mit ähnlich klingendem Namen
erfunden, die man nirgendwo anders auf der Welt benutzen konnte. Ohne erschossen zu werden, durften sie die Zone sonst |204| nur in Richtung anderer kommunistischer Länder verlassen. Aber warum sollten sie denn verreisen, wenn sie wieder im selben
Elend landeten?
Nach einiger Zeit reichte den Ossis diese eine Banane nicht mehr. Die wurden
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