Lieber Onkel Ömer
polnischen Kollegen bekamen. Ich hatte ihn gebeten, mit mir
lieber Deutsch zu sprechen, weil mein Polnisch noch nicht so gut ist. Mein Kumpel Hans klärte mich dann zu meiner Überraschung
auf, dass das, was der Kollege da spricht, schon irgendwie Deutsch ist. Der neue Kollege Egon war nämlich gar kein Pole, sondern
ein Ostdeutscher aus Dresden!
Ich küsse Dir, Tante Ülkü und allen Älteren in unserem schönen Dorf ganz herzlich mit großem Respekt die erfahrenen |213| Hände und allen Jüngeren mit viel Liebe die hübschen, unschuldigen Augen.
Eminanim und die Kinder grüßen Euch selbstverständlich auch und küssen den Älteren mit viel Respekt die Hände und den Jüngeren
mit viel Liebe die Augen.
Pass gut auf Dich auf, bleib gesund, iss genug Knoblauch und danke fünfmal am Tag Allah, dass Dir noch nie einYeti den Schnurrbart
abrasiert hat, erst recht nicht im Beisein Deiner Frau und der Kinder.
Dein Dich über alles liebender Neffe aus dem immer noch sehr geteilten, verregneten Alamanya
PS: Onkel Ömer, stell Dir vor, es ist etwas Sensationelles passiert: Diese Frau hat letztens für einen kleinen Augenblick
ihre Tasche auf dem Wohnzimmertisch liegen lassen. Ich habe die Gelegenheit als alter Wessi-Spion natürlich sofort genutzt
und reingegriffen. Ein Dschentelmän stöbert normalerweise selbstverständlich nicht in den Taschen fremder Damen rum, wenn
er nicht unbedingt muss! Aber jetzt kommt’s: Sie ist gar keine Dame, sondern sie ist die Spionin! Sie heißt nämlich gar nicht
Ümmüyanim, sondern Ulviyanim!
Ich hatte diesen Verdacht ohnehin schon seit geraumer Zeit. Unser Telefon knirscht nämlich seit Monaten. Mir war sofort klar,
dass ich abgehört werde. Ich bin ins Fadenkreuz der Staatsermittlungen geraten!
Deshalb rede ich jetzt nur noch Stuss am Telefon, um die |214| Geheimdienstler zu verwirren. Ich meine, noch viel mehr als früher.
Lieber Onkel Ömer, es ist mit Sicherheit so, dass Mehmet auch beschattet wird. Er ist in Deutschland geboren, er ist kultiviert
und studiert seit Jahren irgendetwas Komisches an der Uni. Mit anderen Worten: Mein Sohn ist der perfekte Schläfer – ich nicht,
ich kann seit Tagen nicht schlafen und bin immer auf der Hut. Aber Du darfst es natürlich, gute Nacht!
Frankfurter Buchmesse
Mein lieber Onkel Ömer,
wie geht es Dir, und wie geht es meiner lieben Tante Ülkü? Wie geht’s der hübschen Kuh Pembe, wie geht’s der schwarz gepunkteten
Ziege Fatima, wie geht’s Deinem störrischen Esel Tarzan, und wie geht’s unserem guten alten Dorfvorsteher Hüsnü?
Lieber Onkel Ömer, was ein Papier ist, das weißt Du ja, da drehst Du immer Deinen Tabak rein, bevor Du es anzündest. Was eine
Zeitung ist, das weißt Du auch. Das ist dieses mit vielen nackten Frauen bedruckte Papier, das in Deinem Männercafé rumliegt
und mit dem Du später Deine Gurken verpackst. Aber was ein Buch ist, das weißt Du nicht und das kannst Du auch nicht wissen,
weil es in der Türkei von den Dingern sehr wenige gibt und in unserem Dorf schon gar keine. Vom Koran natürlich mal abgesehen,
aber der gehört ja dem Imam, und verstehen kann ihn eh keiner, weil er auf Arabisch ist.
Bücher mögen wir in der Türkei irgendwie nicht so richtig. Aber dafür umso mehr die Schriftsteller. Dass diese Menschen immer
öfter unter die fürsorgliche Aufsicht des Staates gestellt werden, wird vom Westen leider total falsch interpretiert. Die
Europäer wollen einfach nicht kapieren, dass die besorgten Türken damit nur versuchen, ihre Autoren |216| vor dem »Bösen Blick« zu schützen und sie ungestört arbeiten zu lassen.
In Alamanya ist es ganz anders. Hier wird für die armen Schriftsteller nicht so gut gesorgt, und somit sind sie ständig dem
»Bösen Blick« ausgesetzt. Aber dafür bezahlen die Deutschen für deren Bücher viel Geld und kaufen gleich Millionen davon.Und
je feuchter die Unterhaltungs-Gebiete da drin sind, umso mehr Bücher werden verkauft.
Lieber Onkel Ömer, Du weißt ja, dass ich in den Mittagspausen in Halle 4 dauernd versuche, was Witziges aufs Butterbrotpapier
zu kritzeln. Meine Frau schimpft dann immer fürchterlich:
»Wie ich das alles hasse«, sagte sie letztens erst wieder. »Die ganzen schwachsinnigen Arbeiten, bei denen sich die Deutschen
nicht mehr selber die Finger schmutzig machen wollen, müssen immer die armen Ausländer erledigen. Mülleimer leeren, Gemüse
verkaufen und jetzt auch noch
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