LIEBES LEBEN
komme ins Büro, bin außer mir vor Freude, wieder hier zu sein, und stürze mich in etwas, das ich kann - denn die Liebe ist viel zu kompliziert für mein einfaches Gehirn. Purvi sitzt schon hinter ihrem Schreibtisch. Das heißt, dass mein Schreibtisch inzwischen mit dem vollgestapelt ist, was sie den ganzen Morgen gemacht hat, und ich vor sechs Uhr abends nichts von dem fertig bekommen werde, was ich mir für heute vorgenommen hatte. Das wird wieder ein langer Abend. Aber ich bin hier und muss fünf Tage lang nicht über mein nicht existentes Liebesleben nachdenken.
Purvi sieht mich und stellt deutlich hörbar ihre Kaffeetasse ab.
»Ashley, ich bin froh, dass du endlich da bist.« Endlich? Es ist acht Uhr morgens! »Du musst nächste Woche nach Taiwan fliegen.«
Als sei mein Leben hier im Silicon Valley noch nicht schlimm genug ... Um mein jämmerliches Dasein noch abzurunden, werde ich auch noch in ein erdbebengefährdetes Drittweltland mit schlechtem Essen geschickt, in dem ich fünfzehn Zentimeter größer bin als alle Männer.
»Guten Morgen, Purvi«, sage ich und hoffe, das Thema Taiwan zu verschieben, bis ich meine erste Tasse Kaffee hatte. »Wie war dein Wochenende?«
Plan fehlgeschlagen. »Wir klagen auf Patentverletzung«, erklärt Purvi.
»Patentverletzung?« Ich reibe meine Hände. »Ich soll ein Patent verteidigen?« Es ist der Traum jedes Patentanwaltes, ein Patent zu verteidigen, zumindest wenn es solide geschrieben ist. Ein Patent gehört einem erst richtig, wenn man es einmal vor Gericht verteidigt hat, und das ist meine Chance, Geschichte zu schreiben. Damit kann ich sicherstellen, dass mein Name für immer in den Akten steht und für ein weiteres Jahr auf der Gehaltsrechnung unserer Firma.
Ich weiß, dass das die Gelegenheit ist zu glänzen, aber der Gedanke an das schlechte Essen gewinnt schließlich doch die Oberhand. Hier in Kalifornien haben wir biologische, freilaufende Hühner statt braun glasierte Enten, die mit dem Kopf nach unten in den Schaufenstern baumeln und mit Kopf und Klauen auf den Teller kommen. Ich werde nie verstehen, warum die Asiaten ihrem Mittagessen ins Auge schauen wollen. Während meiner Geschäftsreisen kommt mir immer wieder flüchtig der Gedanke, Vegetarierin zu werden.
Ganz zu schweigen von den Erdbeben. Im Pazifikgürtel unterwegs zu sein ist wie ein Albtraum. Zugegeben, ich lebe auch in einem Erdbebenland, aber wir haben immerhin etwas wie Gebäuderichtlinien. Unsere Hotels fallen nicht zusammen wie Kartenhäuser, wenn Mutter Erde hustet. All diese Bilder von den Erdbeben der vergangenen Jahre werden wie eine Diashow in meinem Gehirn ablaufen, während ich versuche, in einem stinkigen taiwanesischen Hotel zu schlafen. Dann bin ich dankbar, dass ich ewiges Leben habe - für den Fall, dass ich dieses hier vermassle und auf einer Geschäftsreise ende ...
»Purvi, meinst du, das Patent ist wichtig genug, um es in die Zeitung zu bringen?« Heißt im Klartext: Werde ich in der Lage sein, auf dieser Reise im Alleingang unsere gesamte freie Wirtschaft zu retten? Wird Seth in der Zeitung von meinen großen Heldentaten lesen und alles bereuen? Wird Hugh/Kevin Arin verlassen, weil er nur noch Augen für mich hat?
Purvis normalerweise wunderschöner indischer Akzent macht mich wahnsinnig, wenn sie mir damit einen Vortrag hält. »Das Wichtigste ist, dass wir unsere Patentrechte in diesen Ländern aufrechterhalten.« Dabei legt sie die Hände auf dem Schreibtisch übereinander. »Ohne solche Maßnahmen werden amerikanische und taiwanesische Firmen den Markt mit diesem ... diesem minderwertigen Müll überschwemmen. Sie werden uns unseren Marktanteil stehlen. Ganz zu schweigen davon, dass sie unsere Produkte für ein Zehntel vom regulären Marktpreis verkaufen werden. Es ist eine Machtdemonstration, die wir durchziehen müssen.« Das sagt sie wie General Patton. »Bist du bereit dazu?«
»Jawohl!«, antworte ich salutierend. Ich verstehe natürlich, was sie da sagt, aber ich will wissen, was dabei für mich herausspringt. Aber das hat sie noch nie interessiert. Also muss ich mich im Moment einfach ganz darauf konzentrieren, dass ich dabei abnehmen werde. »Wann werde ich fliegen, Purvi?«
»Du bist für den Sonntagsflug gebucht. EVA Air, nicht United. Diesmal servieren wir auch dem Reich des Bösen eine Anklageschrift. Ich werde nächste Woche nach Seattle fliegen.«
Meine Schultern hängen plötzlich. Sie darf nach Seattle? Dort fangen alle großen Karrieren an! Und
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