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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nächsten Tages: »Bekannter Londoner Buchhändler ermordet – während Gattin sich mit Lustknabe vergn ügte!« Eigenlob stinkt, dachte er. Wen interessierte es, dass er Buchhändler war? »Perverser Ehemann ermordet«, das kam der Wahrheit schon näher, »Perverser betrogener Ehemann ermordet« noch näher. Die öffentliche Meinung wäre wohl mehrheitlich gegen ihn. Perverse betrogene Ehemänner kriegen nur das, was sie verdienen.
    Als er wieder vor dem Club stand, bat ihn der Türsteher, den Mantel zu öffnen.
    Â»Sie haben doch gesagt, Sie würden sich an mich erinnern.«
    Â»Ich erinnere mich auch an Sie. Ich wusste nur nicht mehr, was Sie unter dem Mantel tragen.«
    Â»Jetzt f üllt sich der Laden langsam«, begrüßte ihn die Frau mit dem Ballonbusen.
    Felix schob einen zerschlissenen roten Vorhang zur Seite und wäre beinahe über einen kahlköpfigen Mann gestolpert, der nichts am Leib trug außer einem goldenen Piercing-Stecker, der wie ein verlängerter Manschettenknopf die Penisöffnung verschloss. Der Mann stieg gerade in einen Kilt; es gab eine Garderobe, aber keinen Umkleideraum, man zog sich um, wo immer gerade Platz war. Menschen verwandelten sich von Bibliothekaren und Fernmeldetechnikern in ägyptische Göttinnen und nubische Sklaven. Felix gab seinen Mantel ab, bekam eine nummerierte Eintrittskarte, strich sich die R üschen an seinem Hemd glatt und warf sich – mit seinen Bildern von Vergil und Dante lag er gar nicht so fern – in die Hölle. Die Hölle, es gab kein anderes Wort dafür. Es war nicht als Vorwurf gemeint. Es gibt eine Hölle der Fantasie, die nichts anderes ist als ein ins Unendliche verlängertes, unzensiertes Amüsement. Doch obwohl Felix nicht der Sinn nach Amüsement stand, spürte er doch eine ferne Verwandtschaft mit diesen Leuten, eine Zuneigung zu den Mitwirkenden. Es war beides: sowohl das, was ein alter Mann für jene empfinden konnte, die ein Handwerk erlernten, in dem er selbst es zum Meister gebracht hatte, als auch die Bewunderung des sch üchternen Neulings für ausgelebte Perversionen.
    Allgemein gilt William Hogarth als der große Maler der Ausschweifung in England, doch nur ein Hieronymus Bosch hätte dem Anblick, der sich Felix bot, gerecht werden können – ein Garten der Lüste, in dem zwar niemand sich übergibt oder den Darm entleert, sondern sich ausnahmslos alle gesittet und höflich verhalten, aber in dem der Zirkustrubel des Fleischlichen herrscht, wie er nach unserer Vorstellung immer dem Weltuntergang vorausgeht oder nachfolgt, jener grandiose Karneval der Körperöffnungen, den darzustellen kein englischer K ünstler in der Lage ist, und wenn wir noch so stolz sind auf unsere Kennerschaft des Grotesken.
    Felix suchte sich einen Platz am Tresen, zwischen einer gänzlich in schwarzem Gummi gekleideten Gestalt, soweit er erkennen konnte, ohne Sehschlitz oder Atemöffnung im Anzug, und einem Mann, der außer einer Damen-Latzschürze nur einen weißen und einen schwarzem Strumpf trug. Warum?, fragte sich Felix.
    Er nickte beiden zu, bestellte ein deutsches Bier und beobachtete die Szenerie. Der Club bestand im Wesentlichen aus einer großen Tanzfläche in der Mitte und mehreren Nischen an den Seiten, manche nicht größer als eine Kammer, durch Stellwände und Vorh änge voneinander getrennt. Wenn man wollte, konnte man sich zurückziehen, aber das wollte niemand. Man zeigte sich hier nicht, um sich gleich wieder zu verstecken. Regelmäßig bildete der Dungeon das Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei das Extreme der jeweiligen Spielszene den Grad der allgemeinen Erregtheit widerspiegelte. Anfangs konnte Felix nicht einschätzen, ob er ein Recht hatte zuzuschauen, und blieb daher am Tresen sitzen. Die Tanzfläche füllte sich und leerte sich wieder. Zwei Transsexuelle, beide als Ladys aufgemacht, die im Brighton Pavillon der zwanziger Jahre Tee tranken, tanzten Arm in Arm. Ein alter Mann, Typ Schuldirektor, völlig nackt außer einem Paar robuster Sandalen und einer ledernen Gürteltasche um die Taille, tanzte für sich allein. Sein Penis, offenbar erigiert, war winzig klein. Seine Therapie, dachte Felix. Exhibitionismus lautete das Heilmittel gegen mangelndes Selbstbewusstsein, musste ihm jemand gesagt haben – vielleicht Marisa, falls er bei der Telefonseelsorge angerufen hatte –, und

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