Liebesdienste / Roman
reichen Westen aufwuchsen, Gesundheitsvorsorge für eine alternde Mutter, eine Ausbildung für ein jüngeres Geschwister, und als Gegenleistung würde sie ihm die Illusion der Liebe schenken. Gewinn und Verlust, Waren und Dienstleistungen, darum drehte es sich schließlich in der Welt. Geschäfte.
Irgendwann hörten sie auf, Champagner zu trinken, und wechselten zu Wodka. Der Wodka war so kalt, dass ihm die Nerven in der Kopfhaut schmerzten.
Martin war klar, dass er ziemlich betrunken war. Er war kein Trinker, ein Glas guter Wein am Abend war sein Limit, und er hatte weder den Kopf noch den Magen für billigen Champagner, kombiniert mit achtzigprozentigem russischem Wodka. Die Zeit schien in einer Serie von Schnappschüssen vorwärtszutaumeln: Im einen Augenblick suchte er in seiner Brieftasche nach genügend Rubeln, um die Rechnung zu zahlen, und im nächsten saß er vorn in einem Taxi und wurde mit halsbrecherischer und schreckenerregender Geschwindigkeit irgendwohin chauffiert. Er fragte sich, ob er entführt wurde. Dann hörte er, wie Irina dem Taxifahrer auf Russisch etwas zumurmelte. Martin versuchte, den Sicherheitsgurt anzulegen, aber der Taxifahrer brummte
»Njet«,
und sagte dann etwas zu Irina, woraufhin sie lachte. »Nicht nötig«, sagte er, als hätte Martin seine Fahrkünste infrage gestellt. Martin lachte auch, er hatte die Kontrolle über sein Leben einem wahnsinnigen russischen Taxifahrer und einer angehenden russischen Braut übergeben. Er fühlte sich unerwartet beschwingt. Etwas würde passieren, etwas würde sich verändern.
In der Schublade seines Nachttisches im Four Clans fand er eine glänzende Plastikkarte mit den Gerichten und Telefonnummern des Straßenverkaufs in der Nähe. Sein Magen rumorte, und Säure schoss ihm in den Hals. Er könnte sich eine Pizza kommen lassen, aber er wusste, dass sie so unappetitlich aussähe wie auf dem Foto auf der Speisekarte, und außerdem hatte er nicht so viel Geld. »Geh nur kurz raus, um einen Happen zu essen«, sagte er zu der Frau am Empfang. Er wusste, dass er ihr keine Rechenschaft schuldig war, aber Martin konnte das bedrückende Gefühl nicht abschütteln, dass er im Four Clans in Gewahrsam war. Er hatte fast kein Geld mehr, doch er nahm an, dass er irgendwo billig Pommes oder eine Suppe essen könnte.
»Schön für Sie«, sagte die Frau am Empfang gleichgültig. Sie hatte einen roten Fleck auf dem Kinn, der wie Blut aussah. Martin hielt Tomatenketchup für wahrscheinlicher.
Er landete in einem billigen Internetcafé. Es sah aus wie ein altmodischer Tante-Emma-Laden, nur dass es schwarz gestrichen war, und draußen stand in violetter Leuchtschrift »e-coffee«. Im Inneren roch es nach altem Kaffeesatz und künstlicher Vanille. Martin bestellte eine Tomatensuppe, die nach fadem getrocknetem Oregano schmeckte, aber seinem mageren Budget entgegenkam.
Umgeben von den Computern des Internetcafés, wurde ihm erneut bewusst, wie sehr er die ständige Gesellschaft seines Laptops vermisste. Er hatte Hauptkommissar Sutherland von dessen Verschwinden erzählt, und der notierte sich die Einzelheiten, interessierte sich jedoch nicht weiter dafür. Martin begriff, dass er sich auf Sutherlands Prioritätenliste weit unten befand. »In den letzten vierundzwanzig Stunden sind Ihnen schrecklich viele Dinge zugestoßen, Mr. Canning«, sagte er. »Aber«, fügte er frohgemut hinzu, »bedenken Sie, dass Sie eines Tages, wenn alles vorbei ist, darüber werden schreiben können.«
Martin überlegte kurz, ob er ins Internet gehen sollte. Er fragte sich, ob sein Tod etwas an seinem Verkaufsrang bei Amazon geändert hatte (positiv oder negativ, vermutlich war beides möglich). Er entschied sich jedoch dagegen, bei Amazon nachzusehen oder seinen (oder Richards) Namen zu googeln. Er wollte nicht im ganzen Web Beweise seines eigenen Todes finden.
Nachdem er die Suppe mit dem Kleingeld aus seinen Taschen bezahlt hatte, blieben ihm noch genau einundsechzig Pence. Bis zu seinem Büro waren es nur zehn Minuten zu Fuß – er unternahm einen entschlossenen Versuch, die hochgestellten Kommas loszuwerden –, und er wollte hinschlendern und nachsehen, ob alles in Ordnung war. Vielleicht könnte er morgen aus dem Four Clans flüchten, eine Luftmatratze kaufen und auf dem Laminatboden des Büros kampieren. Martin konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals in sein Haus zurückkehren würde. Auch wenn die Polizei fertig wäre, wie sollte er die Erinnerung an Richard
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