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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Das war Richard gewesen.
1 Anruf in Abwesenheit
. Er war zu betäubt gewesen, um sich zu melden, und dann hatte er ihn vollkommen vergessen. Er musste es der Polizei sagen. Es war ein wichtiges Beweisstück. Er nahm sein Handy, nur um festzustellen, dass der Akku fast leer war.
    Jetzt wünschte er sich, er wäre am Morgen drangegangen, vielleicht wäre er die letzte Person gewesen, mit der Richard gesprochen hätte. »Oh, mein Gott«, entfuhr es ihm, und sein Mund verzog sich zu dem gleichen Oval des Entsetzens wie bei der brennenden Hexe auf dem Bild im Four Clans. Was, wenn Richard ihn während seines … Martyriums angerufen hatte? Was, wenn er verzweifelt um Hilfe gefleht hatte? Wenn Martin sich gemeldet hätte – hätte er Richards Tod irgendwie verhindern können?
(Halt, du Schurke!)
Martin legte den Kopf auf den Schreibtisch und stöhnte. Aber dann kam ihm ein Gedanke. Er hob den Kopf und schaute zu dem rosa Post-it-Zettel an der Wand. Richard hatte um zehn Uhr angerufen, Martin erinnerte sich, dass er auf die Uhr des Radioweckers neben seinem Bett im Four Clans geschaut hatte, und der Erste Hauptkommissar Campbell hatte gesagt, dass Richard zwischen vier und sieben Uhr morgens gestorben war, also konnte er nicht um zehn Uhr angerufen haben.
Außer er hatte von jenseits des Grabes angerufen.
Auf dieses Stichwort hin, auf eine Weise, wie nicht einmal Nina Riley es hätte arrangieren können, zwitscherte das Telefon in seiner Hand. Das Trommeln in seiner Brust wurde wilder, unregelmäßiger.
Richard Moat,
zeigte das Display an.
    Wieder befand er sich in der Schiffsschaukel, spürte, wie sie sich schrecklich und unaufhaltsam in die Lüfte schwang, seinen Körper mitnahm, aber seinen Geist zurückließ, sich auf ihren Zenit zubewegte und eine Nanosekunde am Ende der Kurve innehielt. Nicht der Aufstieg war schrecklich, der Fall war es.
    Seine imaginäre Frau nahm tapfer die Strickarbeit auf. Sie hatte kürzlich mit einem Fischerpullover für ihn angefangen. »Damit du im Winter nicht frierst, Liebling.« Martin toastete Hefeküchlein auf einer Röstgabel aus Messing. Das Feuer knisterte, die Hefeküchlein waren heiß, alles war sicher und gemütlich. Richard Moat befand sich jenseits des Grabes
und wusste alles.
Martins Herz schlug so heftig, dass es wehtat. Hatte er einen Herzinfarkt? Seine Frau sagte etwas zu ihm, aber er hörte es nicht, weil das Feuer so laut prasselte. Irina schlug plötzlich die puppenblauen Augen auf. Nein, sie war nicht hier. Sie konnte nicht in diesem hübschen Häuschen sein. Das war nicht erlaubt. Er verblasste, fiel, ein Vorhang senkte sich. Etwas Schwarzes, Monströses war in ihm, in seiner Brust, schlug mit den Flügeln. Die Nadeln seiner Frau klimperten, sie versuchte, ihn durch Stricken zu retten.
    Martin sprach leise in sein Handy. »Hallo?«, sagte er. Niemand antwortete. Das Telefon gab ein letztes schwaches Piep von sich und schaltete sich aus. Schuld und Sühne. Auge um Auge. Kosmische Gerechtigkeit waltete in der Stadt. Er begann zu weinen.

32
    N atürlich gab es keine Elefanten. Man sah keine Tiere mehr im Zirkus. Jackson erinnerte sich an nur einen Zirkus aus seiner Kindheit. Gleichgültig, was Julia behauptete, er hatte eine (Art) Kindheit gehabt. Der Zirkus von vor vierzig Jahren, an den er sich erinnerte (war er wirklich schon so alt?), stand am Stadtrand auf einer Wiese, die zu der Zeche gehörte, im Schatten der Schlackehalden. Es hatte von Tieren gewimmelt – Elefanten, Tiger, Hunde, Pferde, es gab sogar, wenn Jackson sich nicht täuschte, eine Nummer mit Pinguinen, aber vielleicht täuschte er sich da. Er erinnerte sich auch noch an den berauschenden Geruch des großen Zeltes – Sägemehl und Tierurin, Zuckerwatte und Schweiß – und an den Reiz der exotischen Menschen, deren Leben so anders war als sein eigenes, dass es ihn schmerzte wie eine Wunde.
    Louise Monroe hatte seine Einladung abgelehnt. Julia hatte ihm sowieso nur eine Karte gegeben, aber wenn Louise einverstanden gewesen wäre, hätte er noch ein zweite gekauft.
    Der Zirkus hier versprach nicht die gleichen Freuden und Schrecken wie der Zirkus damals. Es war ein russischer Zirkus, obwohl kreisende Teller, Trapeznummern und Drahtseilakte nichts typisch Russisches waren. Nur den Clowns merkte man ihre Herkunft an in einer Nummer, die auf russischen Puppen basierte – »Matroschka« hieß es im Programmheft. Das Wort des Tages. Er dachte an die Schachteln, die im Flur des
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