Liebesdienste / Roman
schaltete den Fernseher wieder aus.
Er hatte weder ein Buch noch, natürlich nicht, seinen Laptop dabei, er konnte also weder lesen noch schreiben. Martin war nicht klar gewesen, wie viel Zeit seines Lebens er mit diesen Aktivitäten verbrachte. Was würde er tun, sollte er erblinden? Wenn er blind wäre, hätte er wenigstens einen Blindenhund – alles hatte auch eine gute Seite, ein Silberstreif aus hilfreichen Labradors und edlen Schäferhunden, erpicht darauf, seine Augen zu sein. Was, wenn er das Gehör verlor? Es gab auch Hunde für Taube, aber Martin wusste nicht, was sie taten. Sie zerrten einen wahrscheinlich häufig am Ärmel, während sie bedeutungsvoll etwas anstarrten.
Sein Telefon zwitscherte, und der volltönende Dubliner Tonfall seiner Agentin drang ihm ans Ohr. »Sind Sie tot, Martin?«, fragte sie. »Oder nicht tot? Ich wünschte nur, Sie würden sich entscheiden, weil ich hier mit einer Menge Fragen konfrontiert werde.«
»Nicht tot«, sagte Martin. »In den Fernsehnachrichten hieß es, ich lebe wie ein Einsiedler. Warum sagen Sie so etwas? Ich lebe nicht einsiedlerisch, ich
bin
kein
Einsiedler.«
»Also, Sie haben nicht viele Freunde, Martin.« Melanie senkte die Stimme, als wären andere Personen bei ihr im Zimmer, und fügte hinzu: »Haben Sie ihn umgebracht, Martin? Haben Sie Richard Moat ermordet? Ich weiß, wir sagen immer, dass keine Publicity schlechte Publicity ist, aber Mord ist eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte. Sie wissen, was ich meine?«
»Warum um alles in der Welt sollte ich Richard Moat umbringen? Wie kommen Sie bloß auf die Idee?«
»Wo waren Sie, als er starb?«, fragte Melanie.
»In einem Hotel«, sagte Martin.
»Mit einer Frau?«, entfuhr es ihr überrascht.
»Nein, mit einem Mann.« Wie immer er es sagte, es klang nicht richtig. Er konnte sich nicht vorstellen, wie sie reagieren würde, wenn er ihr von der Pistole erzählte. Die Pistole war jetzt ein Geheimnis, das schwer auf ihm lastete. Er hätte es einfach der Polizei erzählen, ihre Ungläubigkeit ertragen sollen, aber eine Nacht mit einem bewaffneten Meuchelmörder schien kein besonders gutes Alibi.
»Herrgott«, sagte Melanie, »haben Sie einen Anwalt, Martin?« Sie ließ die paar Sekunden verstreichen, die sie offenbar für eine angemessene Pause hielt, und sagte dann: »Wie kommen Sie mit dem Buch voran?«
Glaubte sie wirklich, dass er schrieb, während all diese Dinge passierten? Jemand – jemand, den er kannte – war in seinem Haus ermordet worden. Auf seinem Beistelltisch klebte
Gehirnmasse
.
»Ein Gegengift«, sagte sie, »Kunst kann ein Gegengift zum Leben sein.«
Nina Riley war wohl kaum Kunst.
Das ist wirklich todschick, Bertie, wir sollten öfter eine Kreuzfahrt machen. Jetzt müssen wir nur noch beweisen, dass Maud Elphinstone die Katzendiebin ist und dass der Name auf ihrer Geburtsurkunde Malcolm Elphinstone lautet.
Es war, mit Verlaub, Schund.
»Sind Sie noch da, Martin? Sie wissen, dass Sie morgen auf dem Literaturfestival lesen müssen. Soll ich kommen und Sie moralisch unterstützen?«
»Nein, das will ich nicht. Ich werde absagen.«
»Es werden viele Leute kommen.«
»Deswegen werde ich absagen.« Er legte auf und starrte wieder an die Decke.
Martins Akku war leer, seit gestern hatte er nichts mehr gegessen außer der Schachtel Minstrels, die er mit Clare im Streifenwagen geteilt hatte. Den ganzen Tag war ihm aus dem einen oder anderen Grund übel gewesen – der grässliche Kater am Morgen, das geronnene Blut, das sein schönes Haus besudelte, der Anblick von Richard Moats Zombiegesicht –, aber jetzt hatte er plötzlich Heißhunger. Ein richtiges Abendessen wäre ihm recht gewesen – pochierte Eier mit orangefarbenem Dotter auf heißem, gebuttertem Toast. Und auf dem Tisch eine große Porzellankanne mit Tee und ein Kuchen in Form einer Trommel – ein Genueser Kirschkuchen oder ein glasierter Walnusskuchen. Und irgendwo in einer Ecke seine Frau, die still strickte.
Es war zwar ein anderes Zimmer im Four Clans, in der Minibar fand sich trotzdem nichts Essbares. Beim Anblick einer Dose Irn-Bru, die in den Eingeweiden der Bar lauerte, drehte sich ihm der Magen um. Er wollte nach Hause. Er wollte nach Hause gehen und in sein eigenes Bett kriechen und sich die Decke über den Kopf ziehen und alles vergessen, aber er würde es nicht vergessen, weil es seine Strafe war. Und seine Strafe wäre erst vollständig, wenn sein ganzes Leben in Brüche gegangen und
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