Liebesdienste / Roman
dass man nicht mit verurteilten Straftätern rummachte. Und Jackson Brodie brachte es fertig, dass alles drei gleichzeitig auf ihn zutraf. Ja, Louise, du hast dir wieder mal den Richtigen ausgesucht. Und natürlich machte man auch nicht mit einem Mann rum, der schon eine Frau hatte.
Das erklärte zumindest, warum er in Edinburgh war. »Wegen des Festivals«, hatte er gesagt, als sie ihn zum ersten Mal befragte, aber er hatte nicht wie ein Festivaltyp gewirkt. Und das tat er auch jetzt nicht. Aber diese
Julia
spielte in einem Stück mit.
»Wie ist sie, Julia?« Als sie den Namen aussprach, hatte Louise einen unerwarteten Stich der Eifersucht in den Eingeweiden verspürt. Halt den Mund, beiß dir auf die Zunge.
»Sie ist Schauspielerin.« Das hatte sie überrascht. Er runzelte die Stirn, als er ihren Namen nannte.
Sei ehrlich. Ehrlich sein war manchmal schwierig, auch sich selbst gegenüber. Sie war eine geborene Heuchlerin. Sogar das Wort »heucheln« war eine Art Heuchelei, nur um nicht
Lügnerin
sagen zu müssen. Sei ehrlich, Louise, du hast dich in Jackson verguckt. So ein albernes, pubertäres Wort, »verguckt«.
Louise Monroe hat sich in Grant Niven verguckt,
stand in der vierten Klasse an der Wand der Schultoilette. Kriminalmeisterin Louise Monroe und Kriminaloberkommissar Michael Pirie auf dem Rücksitz eines zivilen Polizeiautos in den frühen Morgenstunden nach seiner Ausstandsfeier.
Himmel, ich habe mich schon vor Langem in dich verguckt, Louise
, das dumpfe Schimmern seines Eherings im Dunkeln, das Gestoße und Geschiebe zügelloser Lüsternheit, das Archie zur Folge hatte. Wie seltsam, dass Babys, die absolut Unschuldigen ganz oben auf dem moralischen Haufen, durch so etwas Vulgäres zustande kamen. Das Tier mit den zwei Rücken.
Vielleicht hatte sie sich gar nicht in Jackson verguckt, vielleicht sah sie in ihm nur jemanden, der die Welt überstanden und doch noch etwas zu geben hatte. »Du kannst nicht beides haben«, hatte eine Freundin gesagt. »Hart
und
zart. Männer sind wie Steaks, entweder oder.« Hart und zart, ein Widerspruch in sich, eine Hegel’sche Synthese. Dualismus, die Edinburgher Krankheit. Es war doch möglich, davon war Louise überzeugt, aber vielleicht nur in einer weit entfernten Ecke der Galaxie. Oder mit Jackson Brodie. Vielleicht.
Sie hatte die Windpockennarbe unter seiner Augenbraue bemerkt. Archie hatte eine an fast der gleichen Stelle, eine winzige schildförmige Vertiefung in der Haut, die für immer bleiben würde.
Sein dunkles Haar war schieferfarben gesprenkelt. Zumindest hatte er nicht das typisch Männliche getan und sich in mittleren Jahren einen Bart wachsen lassen, um das Doppelkinn zu verbergen, nicht dass er ein Doppelkinn hatte. Wahrscheinlich würde er mit Bart nicht einmal schlecht aussehen. Als sie jünger war, hatte sie sich nicht vorstellen können, dass sie Männer mittleren Alters mit ergrauendem Haar oder Bart auch nur entfernt attraktiv finden könnte. So viel dazu. Aber vergessen wir
Julia
nicht. Dennoch, sie war Schauspielerin,
und
er runzelte die Stirn, als er ihren Namen nannte. Zwei Punkte gegen Julia.
Merkwürdig, dass man sich durch so schlichte Dinge derart zu jemandem hingezogen fühlen konnte, die Art, wie er ihr einen Drink reichte und
Hier
sagte. Eine Windpockennarbe, der Schatten der Verzweiflung auf seinem Gesicht, als er
Julia
sagte.
Louise fuhr den Wagen in die Garage. Sie erinnerte sich daran, dass Sandy Mathieson gesagt hatte, eine Garage sei für hunderttausend verkauft worden. In Edinburgh hatten manche Häuser in den besten Gegenden keine Garage, so dass die reichen feinen Pinkel mit dem Schrecken leben mussten, ihre Autos auf der Straße abstellen zu müssen, während zu Louises modernem, charakterlosem (dennoch irre teurem) Siedlungshaus eine Doppelgarage gehörte. Danke, Graham Hatter. Die Urne mit ihrer Mutter stand jetzt in einem Regal in der Garage zwischen einem halbleeren Zwei-Liter-Kanister Farbe und einem Glas voller Nägel. Nachdem sie ausgestiegen war, begrüßte sie die Urne spöttisch: »Hallo, Mom.«
Jellybean wartete hinter der Haustür auf sie. Ein tiefer dumpfer Bass pulsierte in Archies Zimmer. Jellybean folgte ihr die Treppe hinauf. Er musste erst mit allen vier Pfoten auf einer Stufe stehen, bevor er die nächste in Angriff nehmen konnte. Es war noch nicht lange her, dass er quirlig rauf- und runtergerannt war. Der Korkenzieher in ihrem Herzen machte eine Vierteldrehung.
Ein Rabauke
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