Liebesdienste / Roman
umgebracht, die Jackson jetzt als typisch für seinen Bruder betrachtete. »Francis du blöder verdammter Mistkerl«, hatte Burt wütend den Sarg angeschrien, als er in die Grube gesenkt wurde, bevor ihn ein paar Männer vom offenen Rachen des Grabs fortzerrten. Francis war nie »Frank« oder »Fran« gewesen, sondern immer bei seinem vollen Namen genannt worden. Er hatte ihm eine gewisse Würde verliehen, die er vielleicht nicht wirklich verdient hatte.
An das Begräbnis seiner Schwester erinnerte sich Jackson nicht, weil er nicht dabei, sondern bei einer Nachbarin gewesen war. Mrs. Judd. Er hatte lange nicht mehr an Mrs. Judd gedacht, an den Rußgeruch in ihrem Wohnzimmer, die zu hart gepolsterten, mit geblümtem Samt bezogenen Sitzmöbel, an ihren goldenen Eckzahn, der ihr ein etwas liederliches zigeunerhaftes Aussehen verlieh, obwohl es in einem Leben, das von der Zeche bestimmt war, nichts Unkonventionelles gab – Tochter eines Bergarbeiters, Frau eines Bergarbeiters, Mutter eines Bergarbeiters.
Jackson war bereits angezogen für Niamhs Beerdigung – er erinnerte sich an den schwarzen Anzug aus einem billigen, filzartigen Material, den er nie zuvor und nie danach gesehen hatte –, aber als es so weit war, konnte er einfach nicht hingehen und schüttelte stumm den Kopf, als sein Vater sagte: »Wir müssen jetzt los, Sohn.« Francis sagte mürrisch: »Komm schon, Jackson, es wird dir leid tun, wenn du dich nicht richtig von ihr verabschiedest«, aber Jackson hatte es nie bedauert, nicht zu dem schrecklichen Begräbnis gegangen zu sein. Doch Francis hatte recht, er hatte sich nie richtig von Niamh verabschiedet.
Er war zwölf und hatte nie zuvor einen Anzug getragen, und es sollte Jahre dauern, bis er wieder einen anzog – Francis’ Beerdigung verdiente offenbar keinen –, und alles, woran er sich erinnerte, war, wie er in dem schlecht sitzenden Anzug von jemand anderem an Mrs. Judds kleinem altem Resopalküchentisch saß, der mit Brandlöchern übersät war, süßen Tee trank und eine Hühnerpastete aß. Komisch die Dinge, an die man sich erinnerte.
Bertie, das war kein Unfall, das war Mord!
Er hatte damit gerechnet, dass jemand im Café zu ihm kam und ihn sarkastisch grinsend fragte, ob er vorhabe, das Buch zu kaufen oder den ganzen Tag hier zu sitzen und es kostenlos zu lesen. Aber dann bemerkte er, dass sich niemand für ihn interessierte und er tatsächlich, wenn er wollte, den ganzen Tag bei einem ekelhaften Latte und einem noch ekelhafteren Blaubeermuffin hier sitzen und umsonst Alex Blakes Gesamtwerk lesen könnte. Niemand arbeitete, und die Bücher kosteten nichts.
Jackson las kaum Belletristik, hin und wieder einen Spionageroman oder Thriller im Urlaub. Er zog Sachbücher vor, weil sie ihm das Gefühl gaben, etwas zu lernen, auch wenn er es nahezu sofort wieder vergaß. Er war nicht sicher, ob Romane von Bedeutung waren, doch er lief nicht herum und erzählte es, weil ihn die Leute dann für einen Spießer gehalten hätten. Vielleicht war er ein Spießer. Julia las viel, sie hatte immer einen Roman dabei, andererseits beruhte ihr Berufsleben auf Fiktionen der einen oder anderen Art, während sein ehemaliger Beruf auf Fakten basierte.
Was Kunst anging, war er nicht viel besser. Dieser ganze fusselige Impressionismus war nichts für ihn, er hatte endlos Wasserlilien angeschaut und sich gefragt: Was soll das? Und religiöse Malerei gab ihm das Gefühl, in einer katholischen Kirche zu sein. Er mochte darstellende Kunst, Bilder, die eine Geschichte erzählten. Er mochte Vermeer, die kühlen Interieurs sprachen von einer Gewöhnlichkeit, die er verstand, ein für immer festgehaltener Augenblick, denn im Leben ging es nicht um Legionen von Madonnen oder Wasserlilien, es ging um alltägliche Details – die Frau, die Milch aus einem Krug goss, der Junge, der am Küchentisch saß und eine Hühnerpastete aß.
Tarvit war anzusehen, dass er ein arroganter Schnösel war, und E. M. Watson (was war das für ein Name?) war einfach nur seltsam: entweder eine schlecht zusammengesetzte Frau oder ein als Frau verkleideter Mann. Transvestiten waren Jackson ein Rätsel. Er hatte nie im Leben ein weibliches Kleidungsstück getragen, mit Ausnahme eines Kaschmirschals von Julia bei einem Spaziergang, und den ganzen Nachmittag hatte ihn seine parfümierte Weichheit irritiert. Martin schien die Signale, die E. M. Watson in seine Richtung sandte, wohlgemut zu übersehen. Der Mann hatte etwas Zölibatäres,
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