Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
putzen, wenn Sie das wollen.« Das Wort »putzen« schien in Tatianas schwermütiger Sprechweise eine ganz neue Bedeutung anzunehmen, als wäre es paradoxerweise eine schmutzige (wenn nicht gar etwas makabre) Aktivität.
    Die Karte war noch warm von Tatianas Busen. Gloria fühlte sich daran erinnert, wie sie Eier unter den Hühnern hervorgeholt hatte, die ihre Mutter noch hielt, nachdem der Krieg und die Notwendigkeit längst Vergangenheit waren. Tatiana steckte das Geld in ihren BH . Auch Gloria verbarg Wertgegenstände häufig in der Panzerung ihrer Unterwäsche in dem Glauben, dass selbst der unerschrockenste Dieb die Brustwehr ihres postmenopausalen 42 EE »Doreen« von Triumph nicht überwinden würde.
    Sie gingen zusammen zum Eingang des Einkaufszentrums/Krankenhauses, und Gloria erwarb unterwegs einen halben Liter Milch, ein Heft mit Briefmarken und eine Zeitschrift. Es hätte sie nicht überrascht, wenn draußen irgendwo eine Autowaschanlage gewesen wäre.
    Den Eingang bildete eine riesige Luftschleuse auf der Vorderseite des Gebäudes, in der Leute herumstanden, mit ihren Handys telefonierten, auf Taxis oder andere Fahrgelegenheiten warteten oder eine Pause einlegten beim Gebären oder Sterben oder Behandeltwerden. Ein paar Patienten in Morgenmänteln und Slippern starrten niedergeschlagen durch das regennasse Glas in die Welt hinaus. Von der anderen Seite der Fenster starrten die Raucher hinein, ebenso niedergeschlagen.
    Nach der Treibhausatmosphäre im Krankenhaus war es draußen kalt. Tatiana zitterte, und Gloria bot dem Mädchen ihren dreiviertellangen grünen Regenmantel von Dannimac an. Gloria sah damit aus wie der Inbegriff der Frau mittleren Alters, aber an Tatiana entfaltete er einen seltsamen nicht-Dannimac’schen Schick. Sie ließ Kaugummiblasen platzen und rauchte eine Zigarette, während sie sehr schnell Russisch in ihr Handy sprach. Gloria verspürte ein wenig Bewunderung für sie. Tatiana war so viel interessanter als ihre eigene Tochter.
    »Das ist Überraschung für Sie«, sagte Tatiana, nachdem sie den Anruf beendet hatte.
    »Ja«, sagte Gloria, »das kann man sagen. Ich dachte immer, er würde auf dem Golfplatz umfallen. Nicht dass er schon gestorben wäre, natürlich.«
    Tatiana tätschelte ihr die Schulter und sagte: »Machen Sie sich keine Sorgen, Gloria, bald ist es so weit.«
    »Glauben Sie?«
    Tatiana blickte in die Ferne wie eine Hellseherin und sagte: »Vertrauen Sie mir.« Dann schauderte sie noch einmal, diesmal nicht vor Kälte, und sagte: »Ich muss gehen.« Sie zog Glorias Dannimac mit einer eleganten, wenn auch theatralischen Bewegung aus, und Gloria fragte sich, ob sie eine Balletttänzerinnenausbildung hatte, aber sie schüttelte den Kopf und sagte: »Trapez.«
    Das Letzte, was Gloria von Tatiana sah, war, wie sie in ein Auto mit schwarzen Scheiben stieg, das geräuschlos vorgefahren war. Einen Augenblick lang glaubte Gloria, es wäre Grahams Wagen, aber dann fiel ihr wieder ein, wo er war.

9
    D ie Krankenschwester mit dem freundlichen Lächeln kam zu Martin ins Wartezimmer. Sie setzte sich neben ihn, und einen Moment lang dachte Martin, sie würde ihn davon unterrichten, dass Paul Bradley gestorben war. Müsste er jetzt die Beerdigung arrangieren, da er doch irgendwie für ihn verantwortlich war?
    »Es wird noch eine Weile dauern«, sagte sie. »Wir warten, bis der Arzt zurückkommt, dann wird er wahrscheinlich entlassen.«
    »Entlassen?« Martin staunte, das Bild Paul Bradleys im Krankenwagen vor sich, Blut aus seinem Kopf auf dem Babydeckenleichentuch, in das er gewickelt war. Er hatte geglaubt, dass der Mann mit dem Tod kämpfte.
    »Die Kopfverletzung ist nur oberflächlich, nichts gebrochen. Es gibt keinen Grund, warum er nicht nach Hause kann, solange Sie da sind und ihn für den Rest der Nacht im Auge behalten. Darauf achten wir, wenn jemand bewusstlos war, egal, wie kurz.«
    Sie lächelte ihn noch immer an, weswegen er sagte: »Gut, okay. Kein Problem. Danke –«
    »Sarah.«
    »Sarah. Danke, Sarah.« Sie schien sehr jung und klein, die Verkörperung der Sauberkeit, das blonde Haar zu einem festen Knoten gebunden, wie ihn Ballerinen tragen.
    »Er hat gemeint, Sie sind ein Held«, sagte sie.
    »Da täuscht er sich.«
    Sarah lächelte, aber er war sich nicht sicher, worüber. Sie legte den Kopf schräg, ein Spatz von einem Mädchen. »Sie kommen mir bekannt vor«, sagte sie.
    »Wirklich?« Er wusste, dass er ein leicht zu vergessendes Gesicht hatte. Er war eine

Weitere Kostenlose Bücher