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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Ihre Aussage aufnehmen. Wir haben Sie schon überall gesucht.«
    »Ich war die ganze Zeit hier«, sagte Martin.
    »Sie wissen bestimmt nicht, was er für einen Beruf hat«, sagte Sarah zu den Polizistinnen.
    Beide Frauen schauten ihn eine Weile ernst an, dann sagte die andere: »Weiß nicht. Ich geb’s auf.«
    »Er ist Schriftsteller«, erklärte Sarah triumphierend.
    »Wäre ich nie draufgekommen«, sagte die eine.
    Die andere schüttelte erstaunt den Kopf. »Bei Schriftstellern frage ich mich immer, woher nehmen sie ihre Ideen?«
     
    Martin nahm Paul Bradleys Tasche, die sich anzufühlen begann, als gehörte sie ihm, und machte einen Spaziergang durchs Krankenhaus. Er betrat ein Geschäft und schaute sich die Zeitungen an. Er ging ins Café und trank eine Tasse Tee, bezahlte mit dem Kleingeld in seiner Tasche. Er fragte sich, ob es möglich wäre, im Krankenhaus zu leben, ohne dass es jemand bemerkte. Es gab alles, was man unbedingt brauchte, Essen, Wärme, Toiletten, Betten, Lektüre. Jemand hatte einen
Scotsman
auf dem Tisch liegen lassen. Er begann lustlos ein Kreuzworträtsel zu lösen. Um die Ecke gedacht.
Drei Lichter für eine Lampe.
Fünf Buchstaben.
Ampel.
    Während er den Tee trank, fiel ihm ein Akzent auf – ein Mädchen oder eine Frau –, der durch das Geklapper und die Gespräche im Café bis zu ihm drang. Russisch. Aber als er sich umsah, konnte er ihn keiner Person zuordnen. Eine russische Frau, die unerwartet im Royal Infirmary auftauchte, um ihn zu geißeln, ihn der Gerechtigkeit zuzuführen. Vielleicht hatte er Halluzinationen. Er versuchte sich auf die schwarzen und weißen Quadrate zu konzentrieren. Kreuzworträtsel waren nicht seine Stärke.
Jonas in weiblichem Namen
. Fünf Buchstaben. Anagramme waren ihm am liebsten. Kleine Umstellungen.
Sonja
.
    Idjot
, hörte er das unsichtbare russische Mädchen sagen. In St. Petersburg gab es ein Café namens »Der Idiot«. Er war mit Irina dort gewesen und hatte Borschtsch gegessen, genau in der Farbe des Blazers, den er als Schüler jeden Tag hatte tragen müssen. Für einen Mann, der mit einer unmoralischen, gleichgültigen Welt rang, musste Dostojewski sehr viel Zeit in Cafés verbracht haben, in St. Petersburg beanspruchte ihn jedes zweite als Stammgast.
Jack und Arthur fahren in eine Hauptstadt.
Sieben Buchstaben.
Jakarta
. Er nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken.
    Es war eine organisierte Reise gewesen, für die sie samstags in den Reisebeilagen der Zeitungen warben: »Erleben Sie das Licht des Nordens – fünftägige Kreuzfahrt vor der Küste Norwegens«, »Die Wunder von Prag«, »Betörendes Bordeaux – Weinproben für den Anfänger«, »Herbst am Comer See«. Es war eine sichere Art zu reisen (eine feige Art), alles organisiert, so dass man nur noch mit dem Pass in der Hand erscheinen musste. Mittelschicht, mittleren Alters, aus Mittelengland. Und natürlich aus Mittelschottland. Sicherheit in der Masse, in der Herde.
    Letztes Jahr hieß es »Der Zauber Russlands – fünf Nächte in St. Petersburg«, eine Stadt, die Martin schon immer hatte sehen wollen. Die Stadt von Peter dem Großen, von Dostojewski und Diaghilew, die Stadt, in der Tschaikowsky sein letztes Jahr verbrachte und Nabokov sein erstes. Die Erstürmung des Winterpalastes, Lenins Ankunft im Finnischen Bahnhof, Schostakowitsch, der während der Belagerung seine Siebte Sinfonie im August 1942 live übertragen ließ – kaum vorstellbar, dass es einen so von Geschichte berauschten Ort gab. (Warum hatte er statt Religionswissenschaft nicht Geschichte studiert? In der Geschichte gab es mehr Leidenschaft, in den Handlungen der Menschen mehr spirituelle Wahrheit als im Glauben.) Er dachte, dass er gern einen Roman schreiben würde, der in St. Petersburg spielte, einen richtigen Roman, nicht Nina Riley. Und außerdem hätte Nina in den späten vierziger Jahren wohl kaum nach St. Petersburg reisen können – Leningrad hieß es damals. Vielleicht hätte sie heimlich die Grenze zwischen Schweden und Finnland und der Sowjetunion überschreiten oder in einem kleinen Boot die Ostsee überqueren können (sie war gut im Rudern).
    Wie üblich hatte Martin mühelos einen unerwünschten Begleiter erworben – einen Mann, der sich in der Abflughalle wie eine Klette an ihn hängte und ihm anschließend kaum mehr von der Seite wich. Es war ein pensionierter Lebensmittelhändler aus Cirencester, der Martin sofort erzählte, dass er unheilbar an Krebs erkrankt war und

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