Liebesdienste / Roman
Großbritannien. Im Urlaub auf Mauritius hatte der Taxifahrer, der sie vom Flughafen ins Hotel fuhr, Gloria gefragt: »Beten Sie?«, einfach so, fünf Minuten nachdem er sie aufgepickt und ihr Gepäck im Kofferraum verstaut hatte. »Manchmal«, sagte sie, was nicht stimmte, aber sie spürte, dass er enttäuscht wäre, wenn er erführe, dass sie gottlos war.
Gloria hatte noch nie verstanden, warum man ein Instrument der Folter und des Tötens als Schmuckstück tragen wollte. Genauso gut könnte man eine Schlinge oder eine Guillotine tragen. Zumindest waren Tatianas Kreuze schlicht, kein sich im Tod windender Christus darauf. Stießen die Kruzifixe manchmal die Kunden ab? Juden, Muslime, Atheisten, Vampire, wie fühlten sie sich dabei?
Ihr Vater, erzählte Tatiana plötzlich, sei ein »großer Clown« gewesen. (Das erklärte vielleicht ihren Künstlernamen.) Im Westen, so sagte sie, hielten sie Clowns für »Slapsticktrottel«, aber in Russland seien sie »existenzielle Künstler«. In einem plötzlichen Anfall slawischer Melancholie ließ sie den Kopf hängen und bot Gloria einen Kaugummi an, den diese jedoch ablehnte.
»Also nicht lustig?« Gloria holte fünfhundert Pfund am Bankomaten auf dem Flur des Krankenhauses. Sie hatte während des letzten halben Jahrs jeden Tag fünfhundert Pfund an Automaten abgehoben. Sie bewahrte das Geld in einem schwarzen Plastikmüllsack in ihrem Kleiderschrank auf. Bislang waren es zweiundsiebzigtausend Pfund in Zwanzig-Pfund-Scheinen. Es nahm erstaunlich wenig Platz ein. Gloria fragte sich, wie viel Platz eine Million brauchen würde. Sie mochte Bargeld, man konnte es anfassen, es tat nicht so, als wäre es etwas anderes. Auch Graham mochte Bargeld. Graham mochte Bargeld ein bisschen zu sehr, riesige Summen davon wurden auf den Konten von Hatter-Häuser gewaschen und kamen sauber wie neue weiße Wäsche wieder heraus. Graham scheute die altmodischen Wege – Waschsalons und Sonnenstudios –, die sein Freund Murdo noch nutzte. Pam schien keine Ahnung zu haben, dass das Kaschmir von Jean Muir und Ballantyne, das ihren Körper kleidete, mit gewaschenem Geld bezahlt wurde. Unwissenheit war nicht gleich Unschuld.
Gloria teilte sich das Geld aus dem Bankomaten mit Tatiana. Sie hatten sich schließlich beide, wenn auch auf unterschiedliche Weise, Grahams Geld verdient. In den siebziger Jahren waren Frauen für »bezahlte Hausarbeit« auf die Straße gegangen. Sich für Sex bezahlen zu lassen schien ihr sinnvoller. Die Hausarbeit musste erledigt werden, ob man wollte oder nicht, aber Sex war freiwillig.
»O nein, ich habe keinen
Sex
mit ihnen«, sagte Tatiana. Sie lachte, als wäre es das Lächerlichste, was sie je gehört hatte. »Ich bin nicht
Idjot,
Gloria.«
»Aber Sie verlangen Geld?«
»Klar. Ist Geschäft. Alles ist Geschäft.« Tatiana rieb auf die Art der internationalen Geldsprache Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Also, wofür bezahlen sie … genau?«
»Ohrfeigen. Fesseln. Schlagen. Befehle erteilen, Dinge tun.«
»Was für Dinge?«
»Sie wissen schon.«
»Nein, ich kann es mir nicht einmal vorstellen.«
»Meine Stiefel lecken, auf Boden kriechen, fressen wie Hund.«
»Nichts Nützliches wie zum Beispiel staubsaugen?«
Wer weiß – hätte Gloria Graham all die Jahre versohlen und wie einen Hund fressen lassen können?
Und sie wäre dafür bezahlt worden!
»
In Russland ich arbeite in
Bank«,
sagte Tatiana düster, als wäre eine Bank der gefährlichste Arbeitsplatz der Welt. »In Russland ich bin immer hungrig.«
Gloria fiel auf, dass sie sehr bewegliche Gesichtszüge hatte, und sie fragte sich, ob es etwas mit ihrem Clownvater zu tun hatte.
Als Gegenleistung für das Bargeld zog Tatiana von irgendwo aus dem Inneren ihres BH eine kleine rosa Visitenkarte und schrieb auf die Rückseite eine Handynummer und »Nach Jojo fragen«. Sie reichte Gloria die Karte. Auf der Vorderseite stand in schwarzen Lettern »
Hilfe
– stets zu Ihren Diensten!«. Das Ausrufezeichen vermittelte den Eindruck, dass
Hilfe
Kinderpartys mit Alleinunterhaltern und Luftballons belieferte. Wieder die Clowns, dachte Gloria. Irgendwo hatte sie dieses Logo schon mal gesehen, war
Hilfe
nicht eine Reinigungsfirma? Gloria kannte die rosa Kombis aus ihrer Gegend, und Pam hatte
Hilfe
gerufen, als ihre Putzfrau letztes Jahr einen Blasenvorfall hatte. Gloria putzte selbst, sie putzte gern. Es war eine nützliche Art, die Stunden zu füllen.
»Ja, klar.« Tatiana zuckte die Achseln. »Sie
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