Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
bei ihm angekommen.
Kein Wunder, dass Sarah umso überraschter reagierte, als er plötzlich zu sprechen begann.
„Es war seit langem zwischen meinem Vater und mir klar, dass ich das Haus in Hörnum nicht übernehmen würde“, begann er langsam und sehr ernst. Es war ihm anzumerken, wie angestrengt er in seinem Innen nach den Erinnerungen suchte. „Mein Lebensplan stand fest. Psychologie studieren, verschiedene Praktika machen, Doktorarbeit schreiben und dann auswandern nach Neuseeland. Ich wollte mich nie festnageln lassen durch irgendwelche materiellen Dinge. Das Haus, in dem heute meine alte Tante lebt, habe ich schon als Last empfunden.“
„Und warum hat deine Mutter das Haus auf Sylt nicht haben wollen?“ fragte Sarah leise.
Er war stehen geblieben, fuhr sich mit einer Hand durch das dichte, kastanienfarbene Haar. „Das, was ich jetzt sage, habe ich nie jemand erzählt, aber meine Mutter war von Anfang an dagegen, dass Gregor das Haus kaufte. Sie hatte für die Nordsee nichts übrig, die Ferien verbrachten meine Eltern fast immer getrennt – er auf Sylt und sie am Lago Maggiore.“
Sarah räusperte sich. „ Ach? Das hört sich nicht gerade nach einer glücklichen Ehe an.“
Frederik vermied es, sie anzusehen. „Es war ja auch keine glückliche Ehe. Wir waren nie die kleine, glückliche Familie, wie alle immer vermuteten. Im Gegenteil, meine Mutter war eine kalte, lieblose Frau, sie hatte keine Freunde, aber zahlreiche Affären mit anderen Männern. Ich erinnere mich nicht, wann mir das klar wurde. Mein Vater hat nie ein Wort darüber verloren. Irgendwann habe ich ihn mal gefragt, warum er sich das von seiner Frau, meiner Mutter, bieten lässt, und da sagte er ganz einfach: Weil ich sie liebe.“
„Aber sie…“ begann Sarah heftig, nachträglich voller Zorn, doch Frederik unterbrach sie.
„Ich erkannte irgendwann im Gespräch mit einer Patientin, die meiner Mutter sehr ähnlich war, dass meine Mutter Gregor immer neidete, wie ihm die Sympathien anderer Menschen, besonders die seiner Schüler, nur so zuflogen. Alle mochten ihn, er war beliebt wie kaum ein anderer Lehrer. Er hatte soviel zu geben. Und er gab immer und überall. Diese Gabe besaß meine Mutter eindeutig nicht.“
Sarah schwieg. Nein, es schmerzte nicht mehr, über Gregor zu reden, seinen Namen zu hören und selbst auszusprechen. Nur ein Hauch von Melancholie durchwehte sie in diesem Augenblick und das leise Bedauern angesichts jener Wahrheit, die sie immer verdrängte, nämlich, dass sie Gregor Becker nie wirklich gekannt hatte.
Wenn Sarah erwartet hatte, dass Frederik nach einem kleinen Schweigen weiter sprechen würde, so irrte sie sich. Er legte stattdessen seinen Arm um ihre Schultern und stellte fest:
„Es ist kühl geworden, findest du nicht auch? Wir sollten zur Farm zurückgehen. Erschrick jetzt nicht, wenn ich pfeife.“ Doch natürlich erschrak sie, als er zweimal schrill auf zwei Fingern pfiff, und musste wenig später schon lachen, denn nun kam Lola ihnen quer über die Felder und Wiesen entgegen gerast, als hätte sie die ganze Zeit nur darauf gewartet, dass ihr Herr sie rief.
So kehrten sie, Seite an Seite wie zwei gute Freunde, nach Blue Horizon zurück, immer voran die junge Ridgebackhündin, die ausgelassen vor ihnen her rannte.
Als sie das Haus endlich erreichten, war es nach Mitternacht und alle rangen nach Atem, denn der Weg herauf zur Farm wurde mit jedem Meter, den man sich dem Haus näherte, steiler.
Sarah strich sich mit einer Hand das helle Haar aus dem Gesicht, während sie mit der anderen Hand nach ihrem Weinglas griff, das immer noch auf dem Tisch der Veranda stand. „Rot oder Weiß?“ fragte Frederik, wartete ihre Antwort aber nicht ab, sondern schenkte in zwei Gläser Weißwein ein.
„Was für ein wundervolles Leben“, sagte Sarah nach dem ersten langen Schluck. „So einen Tag hatte ich schon sehr lange nicht mehr. Danke, Frederik. Ich werde mich ewig daran erinnern.“
„Ach, wir wollen doch nicht übertreiben“, wehrte er etwas verlegen ab.
Sarah hatte ihr Glas bereits geleert und auf den Tisch zurück gestellt. Nun stand sie mitten auf der Veranda, zupfte sich noch ein paar Grashalme aus ihrem Pullover, gähnte und streckte sich dann ausgiebig.
„Mein Gott, ich bin todmüde. Hoffentlich tragen mich meine Füße noch bis zum Gartenhaus.“
„Du kannst hier schlafen“, sagte Frederik halblaut, der, gegen einen Holzpfosten der Veranda gelehnt, nicht den Blick von ihr
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