Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
fragte Kitty Cornelius mit ungewohnt scharfer Stimme, als eine Kollegin im Vorbeigehen ein scheinbar endloses Blatt Papier auf ihren Schreibtisch warf.
„Die Gästeliste“, lautete die lakonische Antwort der anderen. „Dein Vater hat mich beauftragt, sie dir vorzulegen, damit du abgleichen kannst, wer kommt und wer nicht.“
„Natürlich! Ich hab´ ja auch nichts Besseres zu tun als so eine lächerliche Namensliste zu lesen! Wo ist mein Vater jetzt?“
„Mit Jens Schneider im Ratskeller, um sich die Räumlichkeiten für das große Event anzusehen.“
Kitty schwieg kurz, blaffte dann: „Sind die Namen wenigstens alphabetisch geordnet?“
„Nein, Kitty, nur in der Reihenfolge, wie die Zu- oder Absagen bei uns angekommen sind.“
„Wie viele sind das?“
„Einhundertachtzig.“
Kitty fuhr hoch wie eine Furie. „Bist du wahnsinnig? Soll ich mich durch eine Liste mit hundertachtzig Namen wühlen?
Das ist Arbeit für den Lehrling, aber nicht für die persönliche Assistentin des Geschäftsführers.“
„Ach, hör doch auf, Kitty“, unterbrach die Kollegin sie gelangweilt. „Dein Vater will es so und damit Basta! Außerdem lass das mit der persönlichen Assistentin mal weg. Hier im Haus weiß jeder, dass das längst nicht mehr stimmt. Begreif es endlich: Robert Debus hat dich schon vor einer Ewigkeit abgehakt.“
Damit schritt sie ohne jede Eile zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte, während sie die Hand schon auf die Klinke gelegt hatte.
„Robert hat sich übrigens auch in die Gästeliste eintragen lassen. Guck mal bei Nr. 134. Er kommt. Und er kommt nicht alleine.“
Und damit verließ Kittys Kollegin leise summend den Raum, so, wie sie auch leise die Tür hinter sich schloss. Sie hatte sich den Joker für einen völlig undramatischen Abgang aufbewahrt, weil sie wusste, dass mehr nicht nötig war, um Kitty Cornelius endlich von ihrem hohen Ross zu holen.
Nachdem die Tür zugefallen war, blieb Kitty sitzen, ohne sich zu rühren. Es war ja durchaus möglich, dass ihrer Kollegin aus irgendeinem Grund noch etwas einfiel und zurückkehren ließ.
Aber die Schritte der anderen, dieses Klack-Klack von hohen Absätzen, entfernte sich allmählich, wurde leiser, bis es ganz verstummte.
Und erst, als nichts mehr zu hören war, verzog Kitty das Gesicht. Der ganze Schmerz, ihre Hilflosigkeit und ebenso die verzweifelte Anstrengung, die sie brauchte, um abzuwehren, was sie soeben gehört hatte, brach jetzt aus ihr heraus.
Sie ließ sich normalerweise nicht gehen, nicht einmal, wenn sie alleine war. Jeden Tag versuchte sie aufs Neue, sich und die gesamte restliche Welt da draußen darüber hinweg zu täuschen, dass sie immer noch die alte Kitty war und nicht etwa jene, die in diesem Augenblick das Gefühl hatte, an gebrochenem Herzen sterben zu müssen.
Sie würde nicht sterben, sagte ihr Verstand prompt. Jedenfalls nicht aus unglücklicher, unerfüllter, unerwiderter Liebe. Heute allerdings machte sie zum ersten Mal die Erfahrung, dass ihr Herz wirklich wehtat. Es fühlte sich verletzt, irgendwie krank an, schien nur noch mühsam zu schlagen, während sie vergeblich versuchte, sich selbst zu beschwichtigen.
Es war nur ein Irrtum. Es konnte gar nicht wahr sein, was da auf der Gästeliste an 134. Stelle stand, nämlich: „ Robert Debus & Begleitung“.
Niemand wusste besser als Kitty, dass es in Roberts Leben diese Begleitung nicht gab. Er war seit ungefähr einem halben Jahr nur einmal mit einer Frau zusammen gesehen worden. Das wusste niemand besser als sie, denn sie war ihm seit Monaten unzählige Male gefolgt. Sie hatte Robert nicht aus den Augen gelassen, sei es, dass sie von ihrem eigenen Auto aus seine Wohnung beobachtete, oder wenn sie sich – in zum Teil tollkühnen Verkleidungen – an seine Fersen heftete, wann immer er das Apartment verließ, um in die Stadt zu fahren und irgendwelche Leute zu treffen, die sie nicht kannte und die auch nicht wirklich wichtig waren, aber bis auf dieses eine Mal war nie eine Frau an seiner Seite gewesen.
Kitty wusste alles über Roberts Privatleben. Eine Zeitlang war sie unruhig gewesen, als seine Ex wieder aus der Versenkung auftauchte. Doch ihre Sorge erwies sich bald als unbegründet, denn Verena Hartung war vor einiger Zeit nach Hamburg gezogen, wo sie beim Rundfunk als Moderatorin arbeitete. Damit stellte sie keine Bedrohung mehr für Kitty dar.
Nein, Robert hatte keine heimliche Liebe. Er schien nicht einmal Sex zu haben, verschwand nicht ein
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