Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Augenblick einigermaßen interessiert, sogar freundlich, zugehört, doch nun überfiel sie ganz langsam eine vage Angst, ja, sogar Übelkeit.
Eigentlich hatte sie sich für stärker gehalten. Das erwies sich als Irrtum. Der hässliche Verdacht, den sie seit ihrer Geburtstagsfeier mit sich herum schleppte, so, wie ein Sklave seine Kette trug, selbst, wenn sie nur lose herunter hing, erwachte mit einem Mal in seiner ganzen Wucht in ihr.
Es war ein beängstigendes Gefühl, sie begann innerlich zu zittern, konnte förmlich merken, wie sie erbleichte. Bitterkeit stieg in ihr hoch und immer höher, und schließlich hörte sie sich mit einer Stimme wie mit Glasscherben bestreut sagen:
„Nein. Ich bin Sarah.“
Stand auf und ging über die Terrasse davon.Als sie die Tür zu ihrem Hotelzimmer hinter sich geschlossen hatte, keuchte sie vor Übelkeit. Sie kannte das: Es war eine ihrer wenigen Schwächen. Aufregung erzeugte in ihr diese grässliche Überempfindlichkeit. Es war so gewesen, als sie vor der Ruine ihres abgebrannten Ferienhauses auf Sylt gestanden hatte, ebenso bei Gregor Beckers Beerdigung: Sie konnte nicht weinen, stattdessen würgte es sie die ganze Zeit.
Gregor…
Sie dachte nur noch hin und wieder an ihn. Sie erwähnte seinen Namen selten und wenn, dann in den wenigen stummen Gesprächen, die sie früher regelmäßig mit ihm geführt hatte. Zwischen ihr und Robert gab es über Gregor Becker nichts mehr zu sagen, weil alles gesagt war.
Gregors Tod und das, was danach geschehen war, schien jetzt sehr fern, aber gleichzeitig ganz natürlich in diesem Hotelzimmer, das die Morgensonne in gelbrotes Licht tauchte. Hier hatten sie und Robert sich letzte Nacht leidenschaftlich geliebt, kaum, dass sie zur Tür herein gekommen waren.
Es war alles perfekt gewesen.
Peter Gabriel, der eigentlich kein überragender Sänger war, aber ungeachtet dessen immer wieder und immer noch seine Fans faszinierte… das Konzert, die Musik, die Waldbühne, der Abend…
Und dann die Nacht.
Spätestens da hätte das Schicksal einen ausdrücklichen Punkt setzen müssen, fand Sarah. Es war alles viel zu schön, zu harmonisch gewesen, um wahr zu sein. Alle Puzzleteile, nach denen man sonst jahrelang vergeblich suchte, fügten sich an diesem Wochenende mühelos eins ins andere. Es gelang alles, es passte alles und alles war schön, fasste Sarah zusammen, wie sie im Rückblick diese zwei Tage erlebt hatte.
Bis Robert beim Frühstück plötzlich anfing, über das Kind zu reden, das er sich von Sarah wünschte. Es traf sie so unvorbereitet wie ein Pfeil aus dem Hinterhalt und genauso schmerzhaft.
Warum geschahen die meisten Dinge im Leben immer erst dann, wenn es zu spät war? Wenn man nichts mehr retten konnte? Die Antwort auf diese Frage erhielt sie heute und auch später nicht mehr, denn nun konnte sie Stimmen auf dem Flur hören.
Robert kam, er sagte etwas im Vorübergehen zu jemand vom Hotelservice, ein Frauenlachen antwortete ihm prompt und war weithin zu hören. Ach, es war ja so leicht für ihn, andere mit seinem klugen Humor, seinem Charme zu begeistern, und diese Erkenntnis war es dann schließlich auch, die Sarah ihre Selbstbeherrschung wieder finden ließ.
Hände und Gesicht waschen, befahl sie sich. Umziehen. Robert entgegen treten, sobald die Tür zum Hotelzimmer sich öffnete, ruhig bleiben und absolut strikt von Kopf bis Fuß zusammennehmen, selbst, wenn jeder Schritt schmerzte.
„Na, mein Liebes, geht es dir jetzt besser? Das kenn´ ich ja gar nicht von dir, dass du schlapp machst.“
Sie stand mitten im Raum, bürstete ihr Haar auffallend energisch, wie um ihm zu demonstrieren, dass sie vor Kraft strotzte.
„Es war nichts“, erklärte sie dabei, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ein bisschen Übelkeit. Wahrscheinlich war das vierte Glas Wein gestern Abend doch zuviel… Was sagt Verena?“
Robert war klug, sie konnte ihm nichts vormachen, und die Art, wie sie dem Gespräch eine andere Richtung gab, verriet ihm genug. Er ließ sich auf ihren Ton ein, zuckte mit den Achseln, während er antwortete:
„Ach, eigentlich nichts, was uns betrifft. Sie klang ziemlich nervös, irgendwie weinerlich, verwirrt, obwohl ich mir das bei Verena kaum vorstellen kann.“
„Es ging nicht um Julian?“
„Nur am Rande. Sie regt sich darüber auf, dass sie ihn ein einziges Mal in Hamburg getroffen hat und ihr Gespräch ziemlich unangenehm war“, brummte Robert, nun nicht mehr gar so gelassen.
„Nun ja“, sagte Sarah und
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