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Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)

Titel: Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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wiederholenden Trennungen von ihr, denen genauso regelmäßig seine Rückkehr zu ihr folgte, längst gewöhnt. Sie hatte ihre Beziehung, ihr gemeinsames – und oft auch nicht gemeinsames – Leben als normal, ja, zeitweise sogar als glücklich erlebt.
    Doch das sollte sich alles am 8. Mai ändern, dem Abend vor dem Himmelfahrtstag, nachdem Jess sich gegen elf Uhr von ihren Freunden verabschiedet hatte, die sie in einer kleinen Kneipe in Kreuzberg getroffen hatten. Mit einigen aus dieser Gruppe plante sie für die nächsten freien Tage eine Radtour entlang am Kanal, die mit einem Picknick im Sommerbad Kreuzberg enden sollte.
    Auf dem Weg zu ihrer Wohnung geschah jedoch etwas, das ihren eben noch so leichten Schritt plötzlich langsamer werden, ihre Beschwingtheit in Besorgnis umschlagen ließ.
    Irgendwann blieb sie stehen, dachte daran, in die Richtung umzukehren, aus der sie kam, weil das, was da vor ihr aus der Nacht auftauchte und immer näher kam, Böses ankündigte, je weiter sie ging.
    Unheil.
    Gewalt.
    Jess kannte solche Bilder aus Nachrichtensendungen des Fernsehens und dort auch nur von Aufständen in irgendwelchen fernen Ländern, wo so etwas an der Tagesordnung zu sein schien – aber hier? In ihrer Stadt? In ihrer geordneten Welt?
    Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass das keine Prügelei mehr zwischen zwei feindlichen Lagern von Fußballfans war, wie man sie in Kreuzberg öfters erlebte, sondern ein Kampf bis aufs Messer, in dem die Beteiligten, die aus maskierten Angreifern auf der einen Seite und einer Mauer aus Polizisten bestanden, in einem Hagel von Steinen und Glassplittern unterzugehen drohten.
    Brennende Autos, heulende Sirenen und ständig kreisendes Blaulicht, dazwischen Geschrei, bellende Polizeihunde – das alles vereinte sich vor Jessicas Augen zu einem einzigen wahnwitzigen, Nerven zerreißenden Chaos.
    Über Kreuzberg stieg eine schwarze Rauchwolke auf, während die Straße, in der diese unfassbare Schlacht stattfand, sekundenlang auf Jessica wie die Kulisse für ein Inferno aus einem von Hollywood inszenierten Film wirkte.
    Bizarr bis zur Unerträglichkeit.
    In allen Nachrichtensendungen würde später die Rede sein von „so nie erlebter Gewaltbereitschaft“ sogenannter Randalierer „aus der linken Szene“, die regelmäßig in der Nacht zum Himmelfahrtstag parkende Autos anzündeten, Schaufensterscheiben zerstörten und die Polizei in einem Hagel aus Pflastersteinen untergehen ließ.
    Aber nicht das würde es sein, was Jess noch Jahre später durchlebte, wann immer sie zurückblickte auf diesen Abend des 8. Mai.
    Nein, es würde der Moment sein, da sie nach einer wahren Odyssee durch Straßen und Gassen, die sie nicht kannte, endlich in ihre Wohnung zurück fand.
    Unterwegs war sie einmal kurz in Panik geraten, als sie in einer engen, mit Kopfstein gepflasterten Gasse ins Stolpern geriet, einen Schuh dabei verlor und auf das Kopfsteinpflaster stürzte. Atemlos, mit wild klopfendem Herzen hetzte sie dennoch weiter, kaum, dass sie sich wieder aufgerichtet hatte und obwohl sie die ganze Zeit das Blut an ihrem linken Bein herunter laufen fühlte.
    Irgendwie fand sie den richtigen Weg, kehrte heim in ihre Wohnung. Ihre kleine, aber feste Burg, die niemals wankte oder gar einzustürzen drohte.
    Sie hatte eine Stunde gebraucht, um hier anzukommen. Ihr Herz raste immer noch in panischer Angst, ihre Kleidung klebte am schweißnassen Körper, das Haar hing ihr strähnig und wirr im Gesicht.
    Jessica war zu Tode erschöpft wie eine Kriegerin nach einem Kampf, in dem es keine Sieger, sondern nur Verlierer gegeben hatte.
    Später, im Rückblick, würde sie sich wie in einem ständig zurück gespulten Film die Tür zu ihrer Wohnung öffnen sehen und sich an die so niemals gehörte Stille erinnern, die ihr entgegen kam.
    In der Diele klebte ein Zettel am Garderobenspiegel. Jessica las.
    Und ihre Zeit blieb stehen.
    Einen Moment lang, der nicht länger währte als ein Wimpernschlag, war sie der letzte Mensch, der nach der Apokalypse von einer Bergspitze auf die Trümmer ihrer Welt hinunter blickte.
    Vor ihr erstreckte sich ihr Leben öde und leer bis zur Endlosigkeit.
    Da war nichts mehr.
    Nur fremde, tote Erde.
    Dunkelheit und Kälte.
    Dieser kurze Augenblick raubte Jessica sämtliche Illusionen und Träume, die sie jemals gehabt hatte, und daran sollte sie letztlich schwerer tragen als an den brutalen Bildern jener Straßenschlacht, der sie gerade entronnen war.
    Julian hatte sie

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