Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
ihr Gesicht in das Kopfkissen presste.
Nach einer Weile sah Jessica sich wieder nach Julian um. Ihr Mund bebte und ihre Stimme zitterte, als sie kraftlos flüsterte:
„Also, ich… Ich wollte es dir eigentlich schon längst sagen. Oder schreiben. Schreiben ist irgendwie leichter. Aber dann hab´ ich es einfach nicht geschafft.“
Julian zuckte vage mit den Schultern. Schließlich sagte er rau: „Du hattest es dir anders vorgestellt, das mit uns beiden und Berlin, stimmt´s?“
Sie war von einer geradezu unbarmherzigen Ehrlichkeit. „Ja. Es zog sich viel zu lange hin. Zuerst fand ich es schön, aber inzwischen bin ich nicht mehr jung genug dafür. Das ist nicht das Leben, das ich mir für uns vorgestellt hatte.“
Darauf war Julian nicht vorbereitet. Bedeutete das etwa, dass sie aus seinem Leben weg ging?
Da wandte Jessica das Gesicht auch schon wieder ab und drehte ihm ihren Rücken zu.
„Ich kann nicht“, hörte er sie flüstern. „Ich kann das nicht. Die Rolle der ewigen zweiten Besetzung liegt mir nicht. Auch, wenn es vielleicht nie so ausgesehen hat, aber da bin ich eine glatte Fehlbesetzung.“
Er starrte an ihr vorbei aus dem Fenster, gegen das der Regen prasselte. „Ja, scheint ganz so“, murmelte er irgendwann.
„Du brauchst mich doch gar nicht wirklich“, fügte Jessica nun mit unerwartet klarer Stimme hinzu.
Julian sah sie noch immer nicht an. „Wahrscheinlich nicht.“
Sie war ganz weiß, wie nach einer großen Anstrengung, nachdem sie alles gesagt hatte, was sie sagen musste. Sie wollte, dass er endlich ging. Und das tat er dann auch.
Julian saß nur noch einen kurzen Moment lang an ihrem Bett. Er fühlte sich so kraftlos, dass er fürchtete, umzufallen, sobald er von seinem Stuhl aufstand.
Und dennoch musste er es tun.
Er musste gehen. Sich auf seine Kräfte besinnen und Jessica alleine lassen.
„Bis dann“, sagte er leise, die Türklinke schon in der Hand, und ohne sich nach ihm umzuwenden, antwortete sie kaum hörbar:
„Bis irgendwann, Jul.“
Er zögerte noch einen Moment, unsicher, ob er tatsächlich gehen oder trotz allem bleiben sollte. Als er einen Blick über die Schulter zurückwarf, sah er, dass Jessica wieder so dalag wie bei seinem Eintritt, nämlich mit ausdruckslosem Gesicht der Zimmerdecke entgegen blickend.
Sie sah aus wie Schneewittchen im Sarg.
Draußen tosten noch immer Wind und Regen, dennoch fühlte Julian sich jetzt besser. Einmal bückte er sich nach einem Zweig mit grünen Blättern, den ihm eine Windbö vor die Füße trieb. Er blieb stehen, zupfte ein einzelnes Blatt ab und folgte mit seinem Blick den feinen Adern dieses Blattes, dessen kurzes Leben ihm für einen Augenblick tröstende Berechenbarkeit zu versprechen schien.
Im Frühling geboren, starb es im Herbst.
Da blieben weder Zeit noch Raum für Umwege.
Kurz bevor er sein Auto erreichte, ließ er das Blatt fliegen, ohne ihm hinterher zu sehen.
Das Studio, wie Sarah ihr Arbeitszimmer immer nannte, lag unter dem Dach. Es war lange nicht gelüftet worden, sodass sie als Erstes ein Fenster öffnete, während sie das von ihr so geschmähte „krumme Sofa“ erst noch als Bett her richten musste.
Dann warf sie ihren Bademantel auf einen Sessel und legte sich hin. Dies war ihr Zimmer. Ihr Refugium. Ihr Bett und darin sie. Ihr Leib. Mehr dachte sie nicht, mehr erlaubte sie sich einfach nicht zu denken, sondern schlief ein und träumte von einer Reise in ein Land, das es nicht gab und ihr dennoch vertraut vorkam…
Sie konnte irgendwann zwischen Schlafen und Wachen hören, wie Robert in der Küche hantierte, seine Schritte waren sogar auf der Treppe zum Studio zu hören, doch er wurde immer langsamer, zögerlicher, je näher er kam.
Sarah lag auf ihrem Sofa, sie zitterte vor Angst, Schmerz und Hass, lag da und starrte mit angehaltenem Atem auf ihr Leben. Auf jenes, was vergangen war und das, was kommen würde.
Doch die Gewissheit, dass sie tat, was sie tun musste, verlieh ihr Sicherheit.
Sie hatte manches in der letzten Zeit nicht sehen wollen, weil sie unsentimental, vernünftig, sie selbst bleiben wollte.
Aber es hatte keinen Sinn, sich zu verkriechen.
Sie musste hinaus ins Leben. Alleine.
Dr. Maren Schellhorns Sprechstunde für unangemeldete Patientinnen war der Freitagnachmittag, der eine arbeitsreiche und anstrengende Arbeitswoche für die junge Gynäkologin damit gewissermaßen abschloss.
„Keine Patientinnen mehr, Frau Sievers?“ fragte Maren ihre leitende Sprechstundenhilfe,
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