Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
Sessel, ein Bücherregal, dazu eine kleine Bronzelampe, die von der Decke herab hing und Streifen von Licht und Schatten auf den Fußboden, die Wände und die Decke zeichnete, sodass alles in einem heimeligen, matten Gold schimmerte, während draußen Regen und Wind das Haus bedrängten wie ein in Seenot geratenes einsames Schiff.
„Du hast es hier sehr schön“, stellte Sarah fest.
„Es gehört mir nicht“, erklärte Ilka. „Ich habe es von einem… Freund gemietet. Unten wohnt eine nette, alte Dame, und das schon seit einer Ewigkeit.“
„Ach, das ist schön“, zeigte Sarah sich erleichtert, während sie begann, sich von der Wolldecke zu befreien. „Es wird mir leichter fallen, mit dir zu reden, wenn ich dich gut untergebracht weiß.“
„Liebe Sarah“, sagte Ilka unerwartet sanft, stand auf, setzte sich neben Sarah und legte einen Arm um sie. „Reden wir doch erst mal über dich. Du warst vorhin völlig durcheinander, hast geweint und wirr geredet und bist zusammengebrochen. Ich bin kein Arzt, aber ich kenne mich mit diesem Zustand aus. Das war eine Panikattacke, Sarah.“
Sarah schlug beide Hände vor das Gesicht. „Ich… ich weiß nicht… vielleicht lag es nur am Wetter… oder so…“
Ilka schwieg, nahm jedoch nicht ihren Arm von Sarahs Schultern. Schließlich ließ Sarah ihre Hände wieder sinken, und Ilka kannte sie gut genug, um das, was sie nun aus der Nähe sah, richtig zu deuten.
Sarah war erschreckend blass und dünn, unter ihren Augen in denen nichts als Angst geschrieben stand, lagen tiefe Schatten.
„Du Ärmste“, sagte Ilka leise. „Wovor versuchst du gerade, weg zu laufen?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Sarah, ohne sie anzusehen. Tatsächlich aber traf Ilka mit ihrer Frage direkt ins Schwarze. Sie sagte noch eine Menge kluger und gut gemeinter Dinge, begann sich geradezu zu ereifern, doch das wollte Sarah alles nicht hören und erst recht nicht wissen.
Die ganze Zeit schlug ihr Herz schmerzhaft gegen ihre Rippen, und irgendwann erreichte sie einen Punkt, da war sie so gereizt, dass sie am liebsten laut aufgeschrieen hätte.
Was ich brauche, hätte sie Ilka und der gesamten restlichen Welt gerne entgegen geschleudert, sind keine Allerweltsweisheiten und Ratschläge. Was ich brauche, ist Robert. Mein großer, schlanker, lebendiger Robert – mit seiner dunklen Stimme, dunkel wie eine Glocke, seinem winzigen, liebevollen Lächeln im linken Mundwinkel und den tiefseeblauen Augen, in die er mich immer wieder aufs Neue abstürzen lässt…
Robert, vor dem sie floh.
Sie konnte nicht länger mit ihm leben.
Sein Betrug hatte sie wie ein Blitzschlag getroffen und sie innerlich zerrissen. Robert war mit einer anderen Frau zusammen gewesen, vielleicht war er es immer noch, und gleichzeitig ließ er Sarah alleine mit dem Unbeschreiblichen, das er ihr antat.
Ilka redete immer noch, während Sarahs Gedanken ganz woanders unterwegs waren. Als sie ihren Blick ziellos schweifen ließ, entdeckte sie plötzlich eine einzelne rote Rose in einer schmalen Vase, und schlagartig fühlte sie sich an eine weitere unangenehme Wahrheit erinnert.
Ilka, die Sarahs Blick gefolgt war, hörte auf zu reden.
„Die Rose,“ begann Sarah etwas atemlos, hielt aber sofort wieder inne, sodass Ilka nach einem kleinen Moment der Stille sagte:
„Eigentlich wollte ich heute zum Friedhof. Aber bei dem Wetter wird das nichts. Die Rose kann bis morgen warten.“
Sarah erinnerte sich an den Rosenbusch, den sie gesehen hatte, als sie vor Ilkas Haustür stand, doch noch ehe sie etwas erwidern konnte, fuhr Ilka bereits fort:
„Lass nur, Sarah, du musst jetzt nichts sagen. Ich weiß ja, dass du es warst, die die Rose immer wieder von Gregors Grab … entfernt hast. Der Friedhofswärter hat es mir erzählt. Ich bin dir deswegen nicht böse.“
Sarah wurde verlegen. „Es war ja nur, weil ich… ich meine, ich konnte nicht begreifen, wer außer mir Gregor so gut kannte.“
Ilka lächelte. „Eben. Außer dir. Du hast ihn immer für dich alleine haben wollen. Sogar nach seinem Tod sollte er nur dir gehören, nicht wahr? Du konntest einfach nicht akzeptieren, dass es vielleicht noch andere Menschen gab, denen Gregor nahe stand.“
„Wem denn?“ fuhr Sarah auf. „Am Ende seines Lebens war er ganz alleine. Außer mir war da keiner.“
Ilka betrachtete sie nachdenklich. „Das ist richtig. Aber seitdem Gregor diese Welt verlassen hat, ist viel passiert. Ich sehe dir an, was du jetzt denkst, Sarah. Du
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