Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
denkst, ich hätte nach Gregors Tod in einer Art selbst auferlegter Buße damit angefangen, einmal wöchentlich zu seinem Grab zu pilgern und die Rose dort hin zu legen. So war es nicht. So gut habe ich Gregor nie gekannt.“
Sie hielt inne, auf einmal schien es ihr schwer zu fallen, weiter zu sprechen. Der Atem wurde ihr knapp, sie suchte nach Worten.
Nachdem sie sich gefasst hatte, klang ihre Stimme verändert, weich, beinahe liebevoll: „ Aber ich habe einem Freund versprochen, das für ihn zu tun und dieses Versprechen werde ich halten, das habe ich mir und ihm geschworen.“
„Freund? Welcher Freund?“ Sarah wirkte irritiert. „Da war doch niemand. Gregor war beliebt, das wissen wir beide, seine Schüler verehrten ihn, aber er hatte keinen einzigen wirklichen Freund.“
„Das ist möglicherweise nicht der richtige Ausdruck“,
warf Ilka gedehnt ein.
„Von wem redest du denn die ganze Zeit?“ wurde Sarah ungeduldig. „Sag doch endlich, um wen es geht.“
Ilka sah sie direkt an, während sie ernst und ruhig erwiderte:
„Ich rede von Frederik. Gregor war nicht nur sein Vater, sondern auch sein bester Freund.“
„Frederik Becker?“ Sarahs Stimme klang jetzt scharf. „Das glaubst du doch selber nicht. Frederik hat seinen Vater im Stich gelassen, als der ihn am meisten gebraucht hätte. Das weiß jeder. Das wissen wir alle.“
„Du kennst ihn nicht, Sarah. Du hast nicht die geringste Ahnung, wie Frederik Becker wirklich ist“, erklärte Ilka daraufhin und machte Sarah mit ihrer selbstverständlichen Gelassenheit für einen Moment sprachlos.
Sie fasste sich allerdings rasch wieder und wurde prompt sarkastisch. „Ach, und du kennst ihn? Du weißt, wie er ist? Du hast Gregors Sohn nie zu Gesicht bekommen, aber du behauptest…“
„Ich bin ihm begegnet“, unterbrach Ilka sie. „In Wellington, wo ich an einer deutschen Privatschule unterrichtete. Und da hat man mich irgendwann auf einer Party mit Frederik Becker bekannt gemacht.“
Sarah konnte nur da sitzen und sie anstarren.
Und wie, um das Maß voll zu machen, fuhr Ilka mit einem leisen Triumph in der Stimme fort: „Dieses Haus gehört ihm. Er wurde hier geboren und hat hier gewohnt, nachdem seine Eltern in eine Wohnung irgendwo am Stadtrand umgezogen waren. Die alte Dame, die im Erdgeschoss wohnt, ist seine Großtante.“
Sarah hockte wie in Stein gemeißelt auf dem Sofa. Die ganze Zeit wurde sie das hässliche Gefühl nicht los, dass jedes Wort, das Ilka sagte, mit einiger Zeitverzögerung bei ihr ankam und noch länger dauerte es, zu begreifen, was sie hörte.
Ilka rückte sich einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf, um Sarah von dort direkt in die Augen zu schauen, als sie einen allerletzten Satz nachschob:
„Ich kenne Frederik inzwischen besser, als dir möglicherweise lieb ist, Sarah, denn ich war eine Zeitlang mit ihm zusammen. Wir waren ein Paar.“
Sarah musste schlucken, ehe sie fragen konnte:
„Wieso bist du dann hier? Warum bist du zurückgekommen? Du bist doch zurückgekommen? Oder ist das nur eine kleine Stippvisite in der alten Heimat?“
Ilka schüttelte immer nachdrücklicher den Kopf, während sie Sarah zuhörte.
„Nein, ich bin gekommen, um zu bleiben“, sagte sie schließlich.
„Aber – das verstehe ich nicht. Wenn du Frederik liebst, dann wäre es doch logisch…“
„Wer sagt denn, dass ich ihn liebe? Ich habe mit ihm geschlafen, weil ich mich einsam fühlte dort am anderen Ende der Welt. Ich hatte Heimweh, ich brauchte irgendeinen Menschen… Ich brauchte einen Mann. Und als meine Einsamkeit und meine Sehnsucht kaum noch auszuhalten waren, begegnete ich Frederik. Und weil er mindestens genauso alleine war, hatten wir eine Affäre. Ein paar Wochen lang.“
„Er hat dich nicht gebeten, zu bleiben?“ wollte Sarah ungläubig wissen.
Ilka beugte sich über die Stuhllehne hinweg zu ihr, um ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. „Nein, hat er nicht. Wir waren uns nämlich von Anfang an darüber einig, dass zwischen uns nie mehr sein würde als eine Affäre.“
Sie wurde erneut ernst. „Und als ich ihm sagte, ich müsste nun zurück, weil ich es vor Heimweh nicht mehr aushielt, dass ich aber keine Wohnung mehr hätte und keinen Job, da bot er mir dieses Haus an. Ein Dach über dem Kopf habe ich also inzwischen, aber keine Arbeit…“ Ihre Worte verloren sich in einer großen Stille.
„Deshalb bin ich eigentlich hier“, Sarahs Lächeln wirkte etwas mühsam. „Um dich zu
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