Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
was er fühlte, welcher Kampf, ja, Krieg in seinem tiefsten Innern stattfand, der seinen absoluten Höhepunkt noch gar nicht erreicht zu haben schien.
Und er? Was tat er?
Er bildete sich ein, er könnte von einem Tag zum anderen zur Normalität zurückfinden. Doch immer öfter, wenn er im Büro saß oder im Auto unterwegs war, fragte er sich, was er da machte und welches Ziel er eigentlich ansteuerte.
Sarah war weg gegangen, wohin auch immer.
Und er hatte das Gefühl, umkehren, ohne zu zögern nach Hause fahren zu müssen, denn vielleicht war Sarah inzwischen zurück gekommen und wartete auf ihn, und er saß im Auto, das seit mehr als zwei Jahren sein Zuhause war, vergeudete kostbare Zeit……
Es geschah, dass er an einem Vormittag mitten in einer Besprechung mit Cornelius, seiner Tochter Kitty und zwei weiteren jungen Mitarbeitern plötzlich aufstand und murmelte: „Ich muss noch einmal nach Hause… Ich habe etwas vergessen…“
Und verließ den Raum.
Als Kitty aufstehen und ihm hinterher laufen wollte, hielt ihr Vater sie zurück.
„Er wird alleine damit fertig, Katharina. Er braucht uns nicht. Er braucht nur Zeit.“
Dies war auch der Tag, an dem Verena in einer scheinbar endlosen Schlange wartender Menschen stand, die bis auf den Bürgersteig hinaus reichte. Drinnen, im Studio des Hamburger Fernsehens, versuchte der Regisseur, der die Hemdsärmel längst hoch gekrempelt hatte und dennoch in Schweiß gebadet war, die Probeaufnahmen voran zu treiben, denn er hatte nun einmal nicht mehr als drei Tage Zeit, um das ideale Gesicht, den Typ Frau zu finden, der alle Erwartungen erfüllte.
Es war einer jener glutheißen Hamburger Nachmittage. Die Luft flimmerte vor Hitze. Sämtliche Bewerberinnen, die sich dicht an dicht drängten und seit Stunden auf ihren kurzen Auftritt warteten, wirkten schon längst nicht mehr so frisch und zuversichtlich wie am Vormittag.
Indes sagte der Regisseur zu seiner Assistentin: „Such´ mir einige ´raus für Einzelaufnahmen, okay? Für mehr haben wir heute keine Zeit.“
Prompt wurden die wartenden Frauen noch unruhiger. Einzelaufnahmen – das bedeutete für einige von ihnen, dass sie die Chance bekamen, auf die sie stundenlang gewartet hatten.Gleichzeitig hieß es aber auch, dass viele nach einem kurzen Blick weg geschickt wurden. Entweder waren sie zu jung oder zu alt, zu groß, zu klein, nicht attraktiv genug und nach ihrem erfolglosen Auftritt, der kaum länger als drei Minuten gedauert hatte, sämtlicher Illusionen beraubt.
Verena war müde, ihre Füße schmerzten höllisch, die leichte Bluse, die sie angezogen hatte, in der Hoffnung, dass sie luftig genug war, klebte längst auf ihrer Haut, ebenso der wadenlange Rock.
Sie wusste inzwischen nicht mehr, ob sie sich noch wünschen sollte, so wie sie aussah, zu Einzelaufnahmen aufgerufen zu werden. Gleichzeitig betete sie innerlich darum, weil sie an ihr Bankkonto dachte und was es für Konsequenzen haben würde, wenn sie nicht endlich wieder einen Job wie diesen bekam.
„Frau Hartung?“ Die junge Assistentin wedelte mit einem Blatt Papier und sah sich suchend um. „Verena Hartung? Kommen Sie bitte? Es dauert nur ein, zwei Minuten, hoffen wir.“
Verena wurde schlagartig aus ihrer Lethargie gerissen. Sie murmelte irgendetwas und trat aus der Warteschlange heraus, folgte der Assistentin ins Studio und fand sich, ehe sie es recht begriff, in grellem Scheinwerferlicht wieder.
„Frau Hartung, Sie haben schon für das Fernsehen gearbeitet, wie ich in Ihrer Vita lese. Das ist gut. Wir drehen hier einen Werbespot für eine Kosmetikreihe und möchten von Ihnen zunächst eine farblose, glanzlose, niedergeschlagene Aufnahme drehen. Danach folgt das große Staunen, die freudige Glückseligkeit, das Strahlen angesichts der Tatsache, wie sehr `Gleemo` – so heißt das Produkt – Sie verändert hat. Sie wissen, was ich meine?“
Verena nickte. Selbstverständlich wusste sie, was man von ihr erwartete. Es drehte sich um einen jähen Wechsel des Gesichtsausdrucks, wenn man etwas begriffen, durchschaut hatte, wenn einem eine Situation, ein Sachverhalt von einer Sekunde zur anderen klar wurde.
Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen, während sie gleichzeitig ganz leicht zitterte.
„Gut. Dann fangen wir an. Kamera?“
„Kamera läuft!“ kam das Echo und schon richteten sich alle Blicke, die gesamte Konzentration auf Verena.
Verena starrte mit gesenktem Kopf auf den Boden, zwang sich an etwas besonders Deprimierendes zu
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