Liebesmaerchen in New York
anstelle ihres roten Mantels zog sie darüber einen verschlissenen roten Parka. Während sie durch den Park liefen, hielt Mitch mit einer Hand den Hund an der Leine, die andere steckte er in die Hosentasche. Er hätte nicht genau sagen können, wieso es ihn so freute, Hester so lässig gekleidet Hand in Hand mit Radley daherlaufen zu sehen. Er hätte auch nicht genau zu sagen vermocht, warum ihm so viel daran gelegen war, mit ihr in den Park zu gehen, aber er war es gewesen, der Red die Idee, seine Mutter zu überreden, in den Kopf gesetzt hatte.
Mitch liebte den Winter. Während sie durch den weichen tiefen Schnee im Central Park gingen, atmete er tief die kalte Luft ein. Kälte und Schnee gefielen ihm, besonders wenn die Bäume weiße Hauben trugen und man Schlösser aus Schnee bauen konnte.
Als er noch ein Junge war, hatte seine Familie oft in der Karibik überwintert, weit weg von dem ganzen Matsch und der Ungemütlichkeit, wie es seine Mutter zu nennen pflegte. Er hatte zwar eine Vorliebe für Meer und weiße Strände entwickelt, dennoch hatte eine Palme ihm nie die Fichte zu Weihnachten ersetzen können.
Am liebsten war er im Winter im Landhaus seines Onkels in New Hampshire gewesen, wo es Wälder gab und Hügel zum Schlittenfahren. Seltsamerweise hatte er sich schon mit dem Gedanken getragen, ein paar Wochen zu ihm zu fahren, doch dann waren die Wallaces zwei Stockwerke über Mitch eingezogen. Bis zu diesem Augenblick war ihm nicht bewusst geworden, dass seine Pläne in Vergessenheit geraten waren, sobald er Hester und ihren Sohn kennengelernt hatte.
Und nun war ihr unbehaglich zumute. Sie war verlegen und fühlte sich ganz offensichtlich nicht wohl in ihrer Haut. Fürsorglich hatte sie darauf geachtet, dass Radley zwischen ihnen beiden ging, um Mitch auf diese Weise auf seinen Platz als Reds Freund zu verweisen.
Das bin ich ja auch, dachte Mitch in sich hineinlächelnd, aber ich will verdammt sein, wenn das alles ist.
»Da steht das Fort, siehst du?« Radley zog Hester am Ärmel, ließ sie dann los und rannte voraus.
»Eindrucksvoll, was?« Bevor Hester es verhindern konnte, hatte Mitch ihr ganz selbstverständlich den Arm um die Schultern gelegt. »Er ist wirklich begabt.«
Hester versuchte die Wärme und den Druck seines Armes zu ignorieren, während sie sich das Werk ihres Sohnes ansah. Die Wände des Forts waren ungefähr einen halben Meter hoch und ganz glatt. An einer Seite gingen sie in einen runden Turm über. Das mit einem Bogen versehene Eingangstor war so groß, dass Red auf Händen und Knien darunter durchkriechen konnte. Im Inneren angekommen, richtete er sich auf und reckte die Arme in die Höhe.
»Es ist großartig, Red. Ich kann mir denken, dass du viel dabei geholfen hast«, wandte sie sich leise an Mitch.
»Ein bisschen hier und da.« Er verzog das Gesicht, als lache er über sich selbst. »Dein Sohn ist ein besserer Architekt, als ich es je sein werde.«
Red kam bäuchlings wieder durch das Tor gekrochen. »Ich mache meinen Krieger fertig. Mom, du kannst einen auf der anderen Seite des Forts bauen. Das sind dann die Wachen.« Er begann, Schnee auf seine halb fertige Figur zu häufen. »Du kannst ihr ja helfen, Mitch, weil ich schon bald fertig bin.«
»Das ist fair.« Mitch nahm eine Handvoll Schnee. »Was gegen Teamwork einzuwenden?«
»Natürlich nicht.« Hester vermied es immer noch, ihn anzusehen. Sie kniete sich auf den Boden. Mitch ließ ihr den Schnee aus der Hand auf den Kopf rieseln.
»Ich dachte, auf diese Weise bekäme ich dich am schnellsten dazu, mich anzusehen.« Sie blitzte ihn an und fing an, eine Figur zu formen. »Was ist los, Mrs Wallace?«
Sekunden vergingen, bis sie antwortete: »Ich habe im ›Who’s who‹ nachgeschlagen.«
»Tatsächlich?«
»Du hast die Wahrheit gesagt.«
»Ab und zu kommt das vor.« Er schob Schnee zu ihr hinüber. »Und?«
»Ich komme mir ziemlich albern vor.«
»Ich habe die Wahrheit gesagt, und du kommst dir albern vor.« Geduldig klopfte Mitch den gehäuften Schnee in Form. »Könntest du mir diesen Zusammenhang bitte einmal erklären?«
»Du hast zugelassen, dass ich dich beschimpft habe.«
»Es ist schwer, dich zu bremsen, wenn du erst einmal in Fahrt kommst.«
Die Beine des »Wächters« nahmen Gestalt an. »Du hast mich glauben lassen, du seist ein armer exzentrischer Samariter. Ich wollte dir schon anbieten, deine Jeans zu flicken.«
Unglaublich gerührt fasste Mitch mit seiner behandschuhten Hand unter ihr Kinn.
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