Liebesmaerchen in New York
bedauerte die Frage sofort, weil sie ihre Besorgnis verraten hatte.
»Nein.« Er nahm sie bei der Hand und zog sie nach drinnen. Hester duftete nach Frühling, und ihr strenges blaues Kostüm verlieh ihr ein Flair von Tüchtigkeit, das er merkwürdigerweise in diesem Augenblick als besonders sexy empfand. »Hanteln«, erklärte er. Seit er Hester kennengelernt hatte, trainierte er noch öfter mit Gewichten, weil er es für die zweitbeste Möglichkeit hielt, Spannungen und überflüssige Energie loszuwerden.
»Oh. Ich wusste nicht, dass du dich mit so etwas beschäftigst.«
Er lachte. »Ich bin nicht darauf aus, ein Muskelprotz zu werden. Aber wenn ich nicht regelmäßig trainiere, werde ich dünn wie ein Zahnstocher. Und das sieht wirklich nicht sehr hübsch aus.« Weil sie so nervös wirkte, konnte Mitch nicht widerstehen. Er grinste und beugte den Arm. »Mal fühlen?«
»Verzichte. Vielen Dank.« Sie reichte ihm einen großen, prall gefüllten Umschlag. »Mr Rosen schickt dir diese Unterlagen. Du hattest ihn darum gebeten.«
»Hab ich.« Mitch nahm den Umschlag und warf ihn auf einen Stapel Zeitschriften. »Bestell ihm, ich würde es weitergeben.«
»Und wirst du das tun?«
Er hob verärgert die Augenbrauen. »Normalerweise halte ich mein Wort.«
Dessen war Hester gewiss. Und es erinnerte sie daran, dass er gesagt hatte, sie würden miteinander reden. Und zwar bald. »Radley hat mich angerufen und gesagt, er müsse mir unbedingt ganz dringend etwas zeigen. Was ist es denn?«
»Er ist im Arbeitszimmer. Möchtest du einen Kaffee?«
Das Angebot kam so selbstverständlich und freundlich, dass sie es fast angenommen hätte. »Danke, aber wir können nicht länger bleiben. Ich musste mir Arbeit mit nach Hause nehmen.«
»Gut. Dann geh schon hinein, ich brauche was zu trinken.«
»Mom!« Sobald sie ins Arbeitszimmer trat, sprang Radley auf und griff nach ihrer Hand. »Ist das nicht toll? Das ist das schönste Geschenk, das ich in meinem ganzen Leben gekriegt habe.« Er zog sie zu einem kleinen Zeichentisch.
Es war kein Spielzeug. Hester erkannte sofort, dass es sich um eine erstklassige Zeichenausrüstung handelte, wenn auch auf die Größe eines Kindes abgestimmt. Der kleine drehbare Stuhl war verschlissen, aber der Sitz war neu mit Leder bezogen. Radley hatte grafisches Papier auf dem Brett befestigt und mit Zirkel und Lineal etwas zu zeichnen begonnen, das wie ein architektonischer Entwurf aussah.
»Gehört das Mitch?«
»Ja, aber er hat gesagt, ich kann es benutzen, solange ich will. Sieh mal, ich mache einen Plan für eine Raumstation. Das hier ist der Maschinenraum. Und hier sind die Mannschaftsunterkünfte. Es kommt auch noch ein Gewächshaus dazu, weißt du, so eins wie in dem Film, den ich mir mit Mitch angesehen habe. Er hat mir gezeigt, wie man alles im richtigen Maßstab in diese Quadrate zeichnen kann.«
»Das ist ja fantastisch.« Der Stolz auf ihren Sohn löste alle Spannungen. Hester ging in die Hocke, um genauer sehen zu können. »Das hast du aber schnell gelernt, Red. Einfach toll. Sie könnten dich glatt bei der NASA gebrauchen.«
Red kicherte, hielt dabei aber den Kopf gesenkt, wie immer, wenn er gleichzeitig erfreut und verlegen war. »Vielleicht werde ich mal Ingenieur.«
»Du kannst werden, was immer du willst.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Wenn du so weitermachst, wirst du mir bald erklären müssen, was du da tust. Alle diese Geräte.« Sie nahm ein Geodreieck in die Hand. »Ich glaube, du weißt schon, wofür man die alle braucht.«
»Mitch hat es mir gezeigt. Er benützt sie auch manchmal, wenn er zeichnet.«
»Tatsächlich?« Sie wendete das Dreieck in der Hand. Es kam ihr sehr professionell vor.
»Auch für Comiczeichnungen braucht man eine gewisse Disziplin«, sagte Mitch von der Tür her. Er hielt ein Glas Orangensaft in der Hand, das schon halb geleert war. Hester erhob sich.
Sein Sweatshirt war über der Brust leicht feucht. Das Haar hatte er nur mit den Fingern gekämmt, und es war nicht das erste Mal, dass er sich keine Mühe gemacht hatte, sich zu rasieren. Hester fand sein Aussehen sehr männlich. Neben ihm bearbeitete ihr Sohn glücklich sein Zeichenpapier.
Männlich, gefährlich, aufregend – alles das mag er sein, dachte sie. Fest steht aber auch, dass ich keinen liebevolleren Mann kenne. Sie trat auf ihn zu. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
»Das hat Red schon getan.«
Sie nickte und legte Red eine Hand auf die Schulter.
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