Liebesmaerchen in New York
selbst verletzt. Ich möchte bei dir sein, Hester, und ich glaube nicht, dass unser Zusammensein Radley schaden könnte.«
»Ich bin fertig.« Red kam mit einer Zeichnung aus dem Arbeitszimmer. Hester wollte sich sofort von Mitch lösen, aber der hielt sie fest, um seine Argumentation zu beweisen.
»Ich möchte sie mitnehmen und morgen Josh zeigen. Darf ich?«
Um in Radleys Gegenwart kein Gerangel anzufangen, blieb Hester, wo sie war, und sagte über die Schulter: »Natürlich darfst du.«
Red betrachtete die beiden einen Augenblick. Er hatte nie gesehen, dass ein Mann seine Mutter umarmte, außer sein Großvater und sein Onkel, und er überlegte, ob Mitch nun auch zur Familie gehörte. »Ich gehe nämlich morgen Nachmittag zu Josh und darf bis übermorgen bei ihm bleiben. Wir werden die ganze Nacht nicht schlafen.«
»Dann muss ich auf deine Mom aufpassen, meinst du nicht?«
»Könnte sein.« Red rollte die Zeichnungen zusammen und steckte sie in eine Pappröhre, wie Mitch es ihm gezeigt hatte.
»Radley weiß, dass niemand auf mich aufzupassen braucht.«
Mitch ignorierte ihre Bemerkung und wandte sich weiter an Red. »Was hältst du davon, wenn ich deine Mom einlade, mit mir auszugehen?«
»Du meinst fein machen, in ein Restaurant gehen und so was?«
»So was Ähnliches.«
»Ist in Ordnung.«
»Gut. Dann hole ich sie um sieben ab.«
»Ich glaube wirklich nicht …«
»Nicht um sieben? Na gut, dann um sieben Uhr dreißig, aber nicht später. Wenn ich bis acht nichts zu essen bekomme, werde ich unausstehlich.« Er küsste Hester noch schnell auf die Stirn, bevor er sie losließ. »Amüsier dich gut bei Josh.«
»Bestimmt.« Radley holte seinen Mantel und die Schultasche. Dann kam er zu Mitch und umarmte ihn. Hester schluckte die Bemerkung, die ihr auf der Zunge gelegen hatte, herunter. »Danke für den Zeichentisch und alles.«
»Gern geschehen. Also, dann bis Montag.« Er wartete, bis Hester an der Tür war. »Sieben Uhr dreißig.«
Sie nickte und zog die Tür hinter sich ins Schloss.
7. K APITEL
Hester hätte sich irgendeine Ausrede einfallen lassen können, aber sie wollte es im Grunde gar nicht. Sie war sich völlig darüber im Klaren, dass Mitch sie mit dieser Einladung überrannt hatte, aber es machte ihr nichts aus. Sie war ihm sogar dankbar dafür, dass er ihr die Entscheidung abgenommen hatte – jedenfalls fast.
Trotzdem war sie nervös. Obgleich sie sich immer noch nicht über ihre Gefühle klar war, wenn es um Mitch Dempsey ging, so war sie doch froh darüber, dass sie keine Angst vor ihm hatte.
Sie griff nach der Bürste und betrachtete sich im Spiegel, während sie ihr Haar glättete. Es war ihr nicht anzusehen, dass sie so nervös war. Wenigstens das beruhigte sie. Das schwarze Kleid aus leichter Wolle, das knapp über den Knien endete, schmeichelte ihrer Figur. Sie legte große Ohrringe an und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie lange es her war, dass sie sich von einem Mann zum Dinner hatte einladen lassen. Stattdessen sagte sie sich immer wieder, dass sie Mitch gut genug kannte, um sich den ganzen Abend mit ihm über unverfängliche Themen zu unterhalten. Und sosehr sie Red liebte, einem Abend unter Erwachsenen sah sie mit Vergnügen entgegen.
Als sie das Klopfen hörte, warf sie noch einen schnellen prüfenden Blick in den Spiegel und ging dann an die Tür. Sobald sie sie geöffnet hatte, schwand ihr Selbstvertrauen dahin.
Der Mann, der dort stand, hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Mitch, den sie kannte. Von verschlissenen Jeans und ausgeleiertem Sweatshirt keine Spur. Dieser Mann trug einen dunklen Anzug mit blassblauem Hemd sowie eine Krawatte. Der oberste Hemdknopf stand offen, die Krawatte aus dunkelblauer Seide war lose geknüpft und hing etwas zu tief, war aber dennoch unbestritten eine Krawatte. Mitch war frisch rasiert, und wenn sein Haar vielleicht auch eine Spur kürzer hätte sein dürfen, so fiel es doch locker und glänzend bis eben zum Hemdkragen.
Hester fühlte sich plötzlich sehr unsicher.
Auch Mitch war einen Augenblick beklommen zumute, als er sie ansah. Hester sah großartig aus. Ihre hochhackigen Abendschuhe machten sie größer, sodass sie nicht aufblicken musste, um ihm in die Augen zu schauen. Es war Hesters Unsicherheit, die ihm sein Selbstvertrauen zurückgab.
»Sieht so aus, als hätte ich die richtige Farbe ausgesucht.« Er lächelte und gab ihr einen Armvoll roter Rosen.
Sie wusste, dass es für eine Frau ihres Alters albern war, sich von
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