Liebesmaerchen in New York
sogar einen Ohrring im linken Ohr.«
»Du? Einen Ohrring?«
»Du brauchst gar nicht so zu grinsen.« Die Vorspeisen wurden ab- und die Salate aufgetragen. »Na, jedenfalls waren wir glücklich miteinander, bis ich ihr eines Abends, als ich ein bisschen zu viel getrunken hatte, von meinen Eltern erzählte. Sie fuhr fast aus der Haut vor Wut.«
»Auf deine Eltern?«
»Du bist süß«, sagte Mitch und küsste ihr die Hand. »Nein, sie war wütend auf mich. Ich war reich und hatte es ihr nicht gesagt. Ich hatte haufenweise Geld und erwartete von ihr, dass sie sich mit einem erbärmlichen kleinen Raum im French Quarter zufriedengab, in dem sie auf einer Kochplatte Bohnen und Reis kochen musste. Das Komische war, dass sie mich wirklich gemocht hatte, solange sie glaubte, ich sei arm. Aber als sie herausfand, dass ich keinesfalls die Absicht hatte, Gebrauch von dem zu machen, was zur Verfügung stand, wurde sie wütend. Wir hatten einen gewaltigen Streit, in dessen Verlauf sie mich wissen ließ, was sie von mir und meiner Arbeit wirklich hielt.«
»Die Leute sagen, wenn sie wütend sind, schon manchmal Dinge, die sie im Grunde gar nicht so meinen.«
Er hob Hesters Hand und küsste noch einmal ihre Finger. »Ja, sehr süß bist du.« Er hielt ihre Hand, während er fortfuhr: »Sie verließ mich jedenfalls und gab mir Gelegenheit, mir über mich selbst klar zu werden. Drei Jahre lang hatte ich mir Tag für Tag eingeredet, was für ein großartiger Künstler ich sei. In Wahrheit war ich das aber ganz und gar nicht. Also verließ ich New Orleans, ging nach New York und widmete mich der kommerziellen Kunst. Darin war ich gut. Ich arbeitete hart, stellte meine Kunden im Großen und Ganzen zufrieden, mich selbst jedoch machte ich unglücklich. Durch meine Verbindungen bekam ich eine Stelle beim Universal-Verlag. Zuerst als Matrizenschneider, dann als Künstler. Und dann …«, Mitch hob sein Glas, »… dann kam Zark. Den Rest kennst du.«
»Und du bist glücklich.« Sie drehte die Hand, sodass ihre Handflächen sich berührten. »Man merkt es dir an. Nicht jeder ist so zufrieden mit seinem Leben wie du, so zufrieden mit dem, was er tut.«
»Das hat eine Weile gedauert.«
»Und deine Eltern? Ist es zwischen euch zu einer Verständigung gekommen?«
»Zu der, dass wir uns nie gegenseitig verstehen werden. Aber wir fühlen uns trotzdem als Familie. Ich habe meine Anteile an der Firma, und so können sie ihren Freunden erzählen, die Sache mit den Comics mache ich nur zu meinem Vergnügen. Was ja auch eigentlich der Wahrheit entspricht.« Mitch bestellte eine weitere Flasche Champagner zum Hauptgang. »Jetzt bist du dran.«
Hester lächelte. »Oh, ich hatte eine ganz durchschnittliche Kindheit in einer ganz durchschnittlichen Familie. Dad hatte einen guten Job, Mom blieb zu Hause. Wir liebten einander sehr, kamen aber nicht immer gut miteinander aus. Meine Schwester war sehr kontaktfreudig und lebhaft – Cheerleader und Ähnliches. Ich dagegen war fast krankhaft scheu.«
»Du bist immer noch scheu«, stellte Mitch leise fest und verschränkte seine Finger mit ihren.
»Ich dachte, man merkt es nicht.«
»Es wirkt sehr reizvoll. Was ist mit Reds Vater?« Er fühlte, wie sie sich verkrampfte. »Ich würde gern mit dir darüber reden, Hester, aber wenn es dich aufregt, lassen wir es lieber.«
Sie entzog ihm die Hand und griff nach ihrem Glas. Der Champagner war kalt und belebend. »Es ist schon so lange her. Wir hatten uns in der Schule kennengelernt. Radley gleicht seinem Vater sehr, so kannst du vielleicht verstehen, dass ich ihn sehr attraktiv fand. Er war auch ein bisschen wild, was mich besonders zu ihm hinzog. Ich verliebte mich bis über beide Ohren in ihn, gleich beim ersten Mal, als ich ihm begegnete. Ein paar Wochen nach Schulabschluss waren wir verheiratet. Ich war noch nicht ganz achtzehn und stellte mir unter einer Ehe eine Folge von Abenteuern vor.«
»Und das war sie nicht?«
»Für eine Weile schon. Wir waren jung, und es war nie besonders schlimm, dass Allan dauernd die Stellung wechselte oder wochenlang überhaupt nicht arbeitete. Einmal hat er die Wohnzimmereinrichtung verkauft, die meine Eltern uns zur Hochzeit geschenkt hatten, um von dem Geld eine Reise nach Jamaika zu machen. Das klingt heute unbegreiflich, aber wir hatten zu der Zeit niemandem gegenüber eine Verantwortung. Dann wurde ich schwanger.«
Sie machte eine Pause und erinnerte sich an die Gefühle, die sie damals gehabt hatte. »Ich war
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