Liebhaberstück Xenia (German Edition)
jetzt nicht mehr.“
Ich nickte und stieg wieder ins Auto , wobei ich versuchte, meine Schuhe von dem Vogelmist fern zu halten, den der Schwan auf der Fußmatte hinterlassen hatte. Hartmann fuhr los.
„ In Berlin gibt es genug Wasserflächen“, sagte ich, um mich zu beruhigen. „Der Wannsee ist ganz in der Nähe. Der Schwan wird sich dort sicher heimisch fühlen. Und ein ruhiges Plätzchen finden, wo er seine Gehirnerschütterung auszukurieren kann.“
„Klar .“ Thorsten Hartmann lenkte den Wagen weiterhin mit traumwandlerischer Sicherheit durch den Berliner Verkehr.
„ Ich hatte mir ausgerechnet“, eröffnete er schließlich, als er an einer Ampel anhalten musste, „dass wir gemütlich in Berlin ankommen, noch auf einen gepflegten Kaffee zu mir gehen oder zu Ihnen, bevor ich zu meinem Dienst muss.“
Die Ampel schaltete auf grün, und er fuhr wi eder an. „Aber jetzt sieht es so aus, dass ich es gerade noch so schaffe, rechtzeitig zu meinem Dienst zu kommen, wenn wir gleich zur Klinik fahren.“
„Aber eigentlich“, kam eine Ampel später mit einem Kopfschütteln, „hätte ich das wissen müssen, denn mit Ihnen ist es bisher immer anders .“
Darauf wusste ich nichts zu erwidern.
„Immer anders“, griff er nach einer Weile noch einmal auf. „Immer höchst seltsam. Auf eine groteske Art seltsam. Aber…“, er lächelte träge, „…immer interessant.“
Als er am Parkplatz der Klinik den Wagen anhielt, sti egen wir beide aus.
„Wie wär’s mit einem Abendessen morgen Abend ?“ Sanft strich er über meine Wange. „In dem australischen Restaurant im Sony-Center zum Beispiel?“
„Nein danke. “
„Woanders?“
„Auch nicht.“
„Und am Dienstag ? Sagen wir acht Uhr?“
„Nein. Und auch am Mittwoch nicht oder sonst irgendwann!“
Bevor ich mich hinter dem Lenkrad des Golfs niederlassen konnte, packte mich Hartmann bei den Schultern. „Was habe ich nur verbrochen, dass ich unbedingt an eine Frau wie Sie geraten musste!“
„Sie haben Recht , das haben Sie nicht verdient“, bestätigte ich. „Darum suchen Sie sich am besten gleich eine andere!“
„ Solche Sprüche haben Sie mir nun schon oft genug um die Ohren gehauen!“
„Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen den Satz als Klingelton für ihr Handy!“
Er lachte und küsste mich zärtlich auf den Mund.
Mit einem „Leben Sie wohl, Herr Dr. Hartmann!“ zog ich die Autotür zu, schob den Sitz nach vorne und fuhr los.
Zuerst fiel mir gar nicht ein, wer Regina Drechselmeister sein könnte, als ich auf den Absender des Briefes schaute. In Gedanken ging ich meine Geschäftspartner durch, wurde dabei jedoch nicht fündig.
Doch als ich bei einer Tasse schwarzen Tees der G eschmacksrichtung Kokos-Sahne den Brief öffnete und von Dankbarkeit und verschrumpelten Zecken las, erinnerte ich mich schlagartig.
In einer etwas laxen Handschrift, die aussah, als wäre die Schreiberin in Eile gewesen, berichtete mir Frau Drechse lmeister detailliert von ihrer Pension an der Ostsee und dem Rückgang der Tumoren in ihrer Brust, bis auf dem Röntgenbild zur Verblüffung der Ärzte in der Lübecker Klinik nichts mehr davon zu sehen war.
Ihr Mann, so Frau Drechselmeister, war ihr nicht gefolgt, als sie an die Ostsee gezogen war. Nun hatte sie die Scheidung eingereicht und lebte mit einem Meeresbiologen zusammen, mit dem sie sich wieder wie eine junge Frau fühlte.
Sie bedankte sich bei mir wortreich für meine Hilfe und e rinnerte mich an das Wochenende, das ich in ihrer Pension noch dafür gut hatte.
Glücklich ließ ich den B rief neben meine Teetasse sinken. Mein erster Gedanke war, wie sehr ich mich für diese Frau freute.
Mein zweiter Gedanke war grenzenlose Verwunderung darüber, dass sich alles so perfekt gefügt hatte, woran ich wirklich meine Zweifel gehabt hatte. Nicht Zweifel darüber, ob diese eigenwillige Krebstherapie meiner Großmutter funktionieren würde, sondern ob Frau Drechselmeister sie auch wirklich zu hundert Prozent umgesetzt hatte.
Mein dritter Gedanke war Dankbarkeit an die Göttin, die mir den richtigen Weg gewiesen hatte, dieser Frau zu helfen.
Mein vierter Gedanke war, dass ich die Einladung an die Ostsee erst mal zurückstellen musste, da ich nun fast jedes Wochenende bei irgendeinem Seminar als Sprecherin eingeteilt war.
Mein fünfter Gedanke ließ mich sogleich kichernd zu me inem Canon-Kopierer gehen und den Brief kopieren. Mit einem lila Fineliner schrieb ich noch als Notiz auf das rechte untere Eck
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