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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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und der Gesellschaft für geselliges Beisammensein der Geisterkrieger kann man, falls man über den erforderlichen Grad an masochistischer Veranlagung verfügt, die ekelhaftesten, magenaufwühlendsten Geschichten der Welt hören. Fast zweiundsiebzig Prozent davon drehen sich ständig um dieselbe Hauptfigur.
    Da war zum Beispiel die Begebenheit, als Jupiter einen Auftrag bezüglich des Königs von Trasimene vergab, der sich durch das Tragen von zitronengelben Strümpfen und einer lavendelfarbenen Krawatte die unauslöschliche Feindschaft des Himmelsvaters zugezogen hatte. Wegen einer komplizierten Verknüpfung von Orakeln, Schwüren und mit Regenbogen besiegelten Bündnissen war es den Göttern verboten, Gorgias dem Zweiten zu Lebzeiten in irgendeiner Gestalt oder Form Gewalt anzutun. Deshalb ließen sie das einzige Wesen in der gesamten Schöpfung kommen, das dieses Problem lösen konnte; neben den Fluglotsen des Athener Flughafens fraglos das am meisten gefürchtete und gehaßte Wesen im ganzen Universum. Und tatsächlich weilte Gorgias der Zweite keine vierundzwanzig Stunden später nicht mehr unter den Lebenden. Nicht das geringste Überbleibsel wurde jemals von ihm gefunden, nicht einmal ein Hosen- oder ein verkohlter Manschettenknopf. Selbst die zwei Dutzend lavendelfarbenen Seidenkrawatten, die von ihm bei Gieves and Hawkes bestellt worden waren, hatten sich, wie man bei Eingang der Sendung feststellte, in ihre einzelnen Atome aufgelöst und sich ins Packpapier verflüchtigt.
    Manche behaupten, das Wesen habe die Angelegenheit durch eine Zeitreise in die Vergangenheit erledigt. Dort sei es um Gorgias’ Mutter kurz vor deren Begegnung mit Gorgias’ Vater herumgestrichen und habe den späteren König von Trasimene auf diese Weise daran gehindert, jemals geboren zu werden. Andere wiesen auf das Auftreten einer nicht vorhergesehenen Aufspaltung in der Möglichkeitenstruktur hin, der kurz darauf ein heftiger Ausbruch flüssiger Logik der Stärke 34,76 auf der nach oben hin offenen Dichterskala in Makedonien sowie die Beobachtung eines bislang nicht verzeichneten Himmelskörpers im Sternbild der Verteilerkappe gefolgt sei. Den meisten jedoch schauderte es nur, und sie bemühten sich, die ganze Geschichte lieber zu verdrängen.
    Als die schwarze Gestalt auf dem Berggipfel angekommen war, herrschte eine derart zähflüssige Stille, daß man damit ganze Felsspalten hätte zuspachteln können, und Jason hörte kein anderes Geräusch als das Hämmern des eigenen Herzens. Ein besonders angenehmes Gefühl war das nicht, denn er wußte, daß es sich nicht um den gewöhnlichen Herzschlag à la ›Laßt das Blut zirkulieren, Jungs‹ handelte; das hier war ein Herz, das aus der Brust herausspringen wollte …
    »Hallo.«
    »Ehm«, entgegnete Jason. Das war vielleicht nicht gerade die bissigste Antwort – und wenn sie von Boris Becker nach einem verlorenen Match auf der Pressekonferenz geäußert worden wäre, hätte sie sich der eine oder andere Journalist möglicherweise nicht notiert –, dennoch ist sie es wert, als eine der wenigen Antworten aufgezeichnet zu werden, die die schwarze Gestalt jemals von einem potentiellen Opfer erhalten hatte.
    »Schön hier oben, was?«
    »Also …«
    »Gute Aussicht.«
    »Ich …«
    »Offenbar kann man von hier aus Stawropol sehen«, fuhr die Gestalt fort, wobei sie in die völlig verkehrte Richtung starrte. »An einem klaren Tag natürlich«, fügte sie hinzu.
    »Ehm.«
    »In Stawropol bin ich noch nie gewesen«, fuhr sie fort, »aber im Café Jagadai, bei den Eisenbahnbrücken, soll man noch ein originalgetreues Schischkebab bekommen; ich meine, man kann wirklich die kleinen Stücke verbrannte Wolle und das alles herausschmecken. Wer mir das erzählt hat, habe ich allerdings vergessen.«
    »Ehm.«
    Die Gestalt wandte sich ab, schlenkerte mit den Armen und führte anscheinend tiefe Atemübungen durch. »Herrliche Luft ist hier auch«, sagte sie und hustete. »Irgendwie frisch.«
    Jason preßte sich ein wenig von dieser wärmstens empfohlenen Luft an der reichlich großen Blockade vorbei, die sich in der Luftröhre gebildet hatte, in den Brustkasten, aber alles, was er nach der ganzen Anstrengung mit ihr anstellte, war, wiederum »Ehm« zu sagen.
    »Wie bitte?«
    »Nichts.«
    »Tja«, sagte die Gestalt, »ist schön hier, nicht?«
    Eine winzige Mitteilung schlängelte sich Jasons Wirbelsäule hinauf und kroch ihm ins Gehirn. Dieser Bursche hat Angst, besagte sie und wurde augenblicklich

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