Liebling der Götter

den Ziegen und der kleinen Hütte. Dort wirst du jemanden treffen, der dich bereits erwartet.«
    »Ach, wirklich? Na gut. In der Hütte also, richtig?«
    »Höchstwahrscheinlich«, seufzte der Fahrer. »Warum gehst du nicht einfach hin und schaust selbst nach?«
    Weit oben am Himmel hielt sich ein riesiger Adler dicht am Aufwind und suchte die Erdoberfläche ab. Als er die menschliche Gestalt entdeckte, die sich trotzig den Hügel hinaufschleppte, kreischte er derart laut auf, daß man ihn noch in Aserbaidschan hätte hören können. Dann schoß er in die Tiefe, um sich die aktuelle Ausgabe der Times zurückzuholen, die er zuvor im Schnabel getragen hatte, zog eine schnelle Schleife und flog davon.
    In der Hütte traf Jason eine alte Frau an. Sie saß vor einer Feuerstelle und rührte in einem großen Topf. Zwei schwarze Raben hockten auf ihren Schultern, wodurch sie wie ein altmodisches Bettgestell aussah.
    »Tag auch. Wohin geht’s als nächstes?« erkundigte er sich ohne Umschweife.
    Die alte Frau blickte ihn mürrisch an; das hier war ihr großer Auftritt, den sie voll auskosten wollte.
    »Setz dich erst mal hin, Junge!« befahl sie ihm und deutete dabei mit dem knochigen Zeigefinger auf einen niedrigen Hocker, der auf der anderen Seite der Feuerstelle stand.
    »Nichts für ungut, aber könnten wir diesen Teil nicht einfach überspringen? Ich hatte einen anstrengenden Tag. Zum Beispiel bin ich mit dem Fallschirm aus einer Hercules abgesprungen, als sie von Raketen getroffen wurde, und in einem Baum gelandet. Danach mußte ich das Motorrad starten und wurde fünfzig Kilometer über holpriges Gelände von Hubschraubern gejagt, aus denen die ganze Zeit auf mich geschossen wurde. Zu guter Letzt hatte ich noch ’ne Reifenpanne. Wenn wir also zur Sache kommen könnten, dann …«
    »Du setzt dich jetzt hin und bist artig!« unterbrach ihn die alte Frau unwirsch.
    »Verdammter Mist«, muckte Jason auf, aber die alte Frau warf ihm einen solch finstren Blick zu, daß er unwillkürlich an einen Kampfhubschrauber denken mußte, und deshalb gehorchte er lieber.
    »Wohin des Wegs, Fremder?« fragte die alte Frau nach einer unnötig langen Pause. »In dieser kargen Einöde trifft man nur selten Fremde an«, fügte sie hinzu.
    »Ich bin auf der Suche nach meinem Schicksal«, antwortete Jason gestelzt. Er sagte das zwar, aber die Alte sollte sich bloß nicht einbilden, daß er zu dick auftragen wollte.
    »Nach deinem Schicksal?« fragte die alte Dame, wobei sie die erste Silbe von ›Schicksal‹ weit besser betont hatte als er. »Und wohin wird es dich führen?« Sie gackerte, obwohl allgemein behauptet wird, Gackern sei eine aussterbende Kunst.
    »Ich bin … Hör mal, muß ich wirklich diesen ganzen Scheiß aufsagen?«
    »Ja.«
    »Ach, komm … Ich meine, wenn wir diesen Teil überspringen, wird das doch nie jemand erfahren«, bat Jason, da er sich dabei immer so gehemmt fühlte.
    »Ich bestehe darauf«, beharrte die alte Frau. »Also, jetzt sag’s schon.«
    »Nein.«
    »Dann eben nicht«, zischte die Alte ihn grimmig an und nahm das Strickzeug in die Hand.
    Etwa fünf Minuten später räusperte sich Jason und sagte wie aus der Pistole geschossen: »Ich-bin-auf-der-Suche-nach-der-geheimnisvollen-Macht-der-Sonne, alles klar?«
    Die alte Frau nickte. »Wisse, daß ich nicht das bin, was ich zu sein scheine.« Sie legte das Strickzeug in den Schoß und lächelte.
    Jason sah sie leicht verdutzt an. »Und?«
    »Und was?«
    »Mach schon weiter«, drängte Jason.
    »Du mußt dich jetzt überrascht geben«, belehrte ihn die alte Frau.
    Jason gab zu verstehen, daß er sich demnächst weniger überrascht, sondern äußerst wütend geben werde, und die alte Frau legte rasch das Strickzeug beiseite. »Wisse, daß ich niemand anders als Hekate bin, Göttin der Wege, und daß ich dir einen Wunsch erfüllen werde …«
    »Einen Wunsch nur?«
    »Hast du noch nie etwas von Kürzungen gehört? Also, einen Wunsch nur, um dir dabei zu helfen, dein sehnsüchtigstes Verlangen zu stillen. Aber wähle vorsichtig; die Gaben der Götter sind äußerst …«
    »Jetzt sag mir endlich, was ich als nächstes tun soll, oder ich haue dir eine runter!« brüllte Jason sie aufgebracht an.
    Die alte Frau blickte ihn finster an und antwortete: »Dahinten mußt du am zweiten Dornbusch nach links gehen, dann immer der Nase nach, bis du zu einer Feuersäule kommst, dann wieder links und noch mal links durch die Irrfelsen, dann immer geradeaus. Du kannst es