Liebling der Götter
nicht verpassen.«
»Was kann ich nicht verpassen?«
»Es«, antwortete die alte Frau geheimnisvoll und fügte mürrisch hinzu: »Und jetzt hau schon ab!«
Jason stand auf und wollte bereits zur Tür gehen, als ihm plötzlich etwas einfiel. »Moment mal, hast du nicht was vergessen?«
»Meinst du?«
»Ja.«
»Ach so«, seufzte die alte Frau. »Das kommt davon, wenn man alles so überstürzt macht. Man vergißt die richtige Textstelle«, sagte sie und holte unter einem Stuhl einen länglichen Stoffsack hervor. »Sieh, dies ist das Schwert von … Verdammt noch mal, dieses alte Scheißding! Die Hülle hat sich irgendwo am Knauf verhakt. Paß auf, du hältst das untere Ende fest, und wenn ich sage ›Zieh!‹, dann …«
Es gab ein reißendes Geräusch, dann war das Klirren von Metall zu hören.
»Jedenfalls ist dies das Schwert von Glykerion, das nur von denen gezähmt werden kann, die reinen Herzens sind. Allen anderen bringt es den Tod. Führe es gut, mein Sohn, denn … He! Hat dir noch nie jemand etwas darüber erzählt, daß es sich nicht gehört, anderen Leuten einfach etwas aus der Hand zu reißen?«
»Doch, aber auch darüber, daß es schwachsinnig ist, seine Zeit mit anderen Leuten sinnlos zu verplempern«, antwortete Jason, wobei er das Schwert etwas skeptisch musterte. Dann stand er auf und marschierte auf die Tür zu.
»Mögen die Götter mit dir sein!« rief die alte Frau ihm hinterher.
»Ach, scher dich zum Teufel, du alte Hexe!« brüllte Jason zurück und begab sich stampfenden Schrittes auf die Suche nach seinem Schicksal.
»Du bist dran mit Würfeln.«
»Richtig.«
Klapper, klapper, klapper. Klack!
»Vier und fünf, macht acht.«
»Seit Adam Riese sind das aber neun, Pol.«
»Also gut, dann eben eine Scheißneun. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht … Oje, das ist ja wirklich reizend!«
»Gehe drei Felder zurück, und ziehe eine Karte.«
»Danke, Vul, aber ich kann selbst lesen.«
Blätter, blätter, blätter …
»FALLS DU IN SCHWIERIGKEITEN GERÄTST, KOMMST DU DA KOSTENLOS WIEDER HERAUS. Na bitte, dafür hat’s sich doch gelohnt. Du bist dran.«
Klapper, klapper, klapper. Klack!
»Einszweidreivierfünfsechssieben … acht!«
Pause.
»Ojemine!«
»Hallo! Ist jemand zu Hause?« rief Jason.
Er lehnte sich gegen die Tür des merkwürdigen Steingebäudes, stellte das Schwert von Dingsda an einer Säule ab, ging in die Hocke und zog sich die Schuhbänder fest. Das Heldendasein an sich war etwas Feines, sinnierte er, hätte er allerdings gewußt, daß es mit derart vielem Laufen verbunden war, hätte er genausogut Postbote werden können.
Nichts geschah. Jason rappelte sich wieder hoch, trat mit den frisch geschnürten Schuhen leicht gegen die Tür und rief: »Hallo! Ist da jemand? Ich habe nämlich nicht den ganzen Tag Zeit, kapiert?«
Von irgendwoher aus dem Innern des zerstörten Tempels war das Geräusch von jemandem zu hören, der etwas fallen ließ, und dieses Etwas zerbrach.
»Schon gut, würden Sie bitte noch eine Minute warten?« meldete sich schließlich eine entzückende weibliche Stimme mit leicht gereiztem Unterton.
Kurz darauf erschienen zwei Frauen in der Tür, und wir sollten uns die Zeit gönnen, die beiden etwas genauer zu beschreiben.
Das Wesentliche zuerst: die beiden sind absolute Schönheiten – daran gibt es keinen Zweifel –, und man erwartet fast, daß der in Großbuchstaben gesetzte Schriftzug einer in Hochglanz gedruckten Modezeitschrift über ihren Köpfen schwebt.
Eine der beiden ist groß und schlank und von vornehmer Gestalt. Sie trägt ein prunkloses weißes Gewand und um den Kopf ein schlichtes Goldband. In einer Armbeuge hält sie, wie man instinktiv erkennt, einen goldenen Palmwedel, der etwas symbolisieren soll, woran man sich aber nicht erinnern kann. Ihr Haar hat dieselbe Farbe wie das goldene Haarband und der Palmwedel, und ihre Augen haben so etwas wie ein tiefgekühltes Blau an sich. Zufälligerweise trägt sie gerade keine Schärpe, täte sie das aber doch, könnten Sie Ihre gesamten Ersparnisse und den nächsten Gehaltsscheck darauf verwetten, daß das Wort TUGEND draufgestickt wäre …
Die andere ist dunkelhaarig, voll glühender Leidenschaft und hat mehr Kurven aufzuweisen als die Rennstrecken von Le Mans und Indianapolis zusammen. In einer Armbeuge hält sie etwas, das man allgemein als Füllhorn bezeichnet – eine Art metallisch glänzendes cremefarbenes Horn, aus dem Früchte hervorquellen –,
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