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Liebling der Götter

Liebling der Götter

Titel: Liebling der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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ich mir wahrhaftig etwas anderes vor. Ich werde nie vergessen, als ich …«
    »Vergil!«
    »Ja, was ist?«
    »Gehen wir den richtigen Weg? Müssen wir nicht nach rechts?«
    Vergil kicherte auf unangenehme Weise und antwortete geheimnisvoll: »Hier unten ist man nie auf dem richtigen und schon gar nicht auf dem rechten Weg. Nebenbei bemerkt, ist es sowieso vernünftiger, den Bus zu nehmen. Ich glaube, wir müssen hier links abbiegen.«
    »Aber wir sind doch schon eine Ewigkeit unterwegs«, wandte Jason ein.
    »Richtig«, antwortete Vergil knapp, was Jason als ausgesprochen hilfreich empfand.
    »Welche Linie nehmen wir überhaupt?«
    »Das wird sich schon noch herausstellen«, grummelte Vergil vielsagend.
    Sie bogen um eine Ecke und kamen an einem Straßenmusikanten vorbei, vor dem ein Hut lag, der keinen Boden hatte. Er spielte auf einer Gitarre ohne Saiten, und wenn er zum Singen den Mund öffnete, kam kein Laut heraus. Eine Mundharmonika, die wie eine verchromte Hornisse ständig um seinen Kopf herumschwirrte, stürzte sich hin und wieder auf ihn und biß ihm ins Ohr. Vergil blieb stehen und griff in die Manteltasche.
    »Sehr schön, ich wußte doch, daß ich noch welche bei mir hatte«, murmelte er vor sich hin. Dann nahm er zwei Peseten, einen verrosteten Pfennig und eine Marke für Spielautomaten und warf sie in den Hut ohne Boden, wo die Münzen verschwanden.
    »Ein trauriger Fall«, fuhr Vergil fort. »Im Leben war er ein berühmter Dirigent, aber irgendwann stimmte er zu, Weihnachten in dieser Wohltätigkeitsgala ›Stars in der Manege‹ mitzuwirken, und danach ging’s mit ihm stetig bergab. Am Anfang waren es Talkshows, dann Werbespots für Doppelfenster, und als er starb, ist er schließlich hier gelandet. Wirklich teuflisch, was die sich manchmal einfallen lassen.«
    Jason starrte ihn ungläubig an. »Willst du etwa damit sagen, er ist tot?«
    »Sicher. Du bist jetzt im Untergrund oder, besser gesagt, unter der Erde.«
    Hinter der nächsten Ecke kamen sie an einer Frau vorbei. Sie lag, mit dem Rücken fest an die Kacheln gepreßt, zusammengekrümmt auf dem Boden. Mit den Händen umklammerte sie ihre Ohren, in denen zwei kleine Kopfhörerclips eines Walkmans steckten. Obwohl selbst Vergil und Jason die Musik hörten, als sie an ihr vorbeigingen, war es offensichtlich, daß die Frau keinen Ton mitbekam.
    »Das da spricht ja wohl für sich selbst«, bemerkte Vergil angeekelt.
    Für jemanden, der nicht wußte, was Angst ist, fühlte sich Jason allmählich ziemlich unbehaglich; aber da Vergil offenbar spielend mit allem fertig wurde, tat er alles, um seine aufkommende Nervosität zu verbergen. So kam es, daß er nur verlegen einen Schritt zurücktrat, als eine ausgezehrte Frau mit starrem Blick auf sie zusprang und sich nach Bahnsteig sieben erkundigte und trotz Vergils Wegbeschreibung in die entgegengesetzte Richtung davonlief – obwohl Jason heftig gegen den Drang ankämpfen mußte, das Schwert von Scheiße-ich-hab’s-schon-wieder-vergessen zu ziehen und ihr den Kopf abzuschlagen.
    »Noch so ein hoffnungsloser Fall«, sagte der Dichter, als das hysterische Lachen der Frau in der Ferne abflaute. »Ihr größtes Vergehen bestand darin, ihrem Mann andauernd damit in den Ohren gelegen zu haben, jemanden nach dem Weg zu fragen, sobald die beiden sich verlaufen hatten. Geschieht ihr ganz recht, finde ich, trotzdem …«
    Je weiter sie vordrangen, desto dunkler wurde es, so daß sie nur noch die vor ihnen liegenden Wände des Gangs erkannten, der durch brennende Graffitikünstler erhellt wurde, die zweckmäßigerweise knapp oberhalb der Kopfhöhe in regelmäßigen Abständen an die Kacheln genagelt worden waren. Die dunklen Stellen dazwischen waren von grotesken schlurfenden Gestalten gefüllt, die unheimliche Geräusche von sich gaben. Vorsichtshalber beachtete Jason sie erst gar nicht.
    »So, wir sind fast da«, stellte Vergil fest. »Ich sollte dich lieber vorwarnen, denn was jetzt kommt, ist nichts für zarte Gemüter.«
    »Na prima«, seufzte Jason.
    Sie bogen erneut um eine Ecke und gelangten zu einer Treppe, die zu einem schmalen Durchgang hinabführte. An den Wänden des Durchgangs klebten etliche schreiende und sich mit Händen und Füßen wehrende Gestalten, auf deren Gesichtern sich dämonische Plakate zu Schnurrbärten zusammenzogen. Dann gelangten die beiden auf einen Bahnsteig, der völlig leer war.
    »Hier ist es doch gar nicht so schlimm«, sprach sich Jason selbst Mut zu.
    »Na, dann wart mal

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