Liebling, vergiss die Socken nicht
die ihre Assistentin sein musste, »verteilst du bitte Papier und Bleistifte?«
»Oh, toll«, flüsterte Susie unüberhörbar. »Wir spielen Geschichten erfinden.«
Barbara ignorierte sie.
»Zuerst möchte ich, dass jede von euch zehn Worte auswählt, mit denen sie sich selbst beschreiben würde.«
Susie schlug die Augen gen Himmel, nahm dann ihren Bleistift und begann zu schreiben.
Ally lächelte ihr zu und schrieb ihrerseits los.
»Erstens Mutter «, schrieb sie spontan, »zweitens Ehefrau. Dann hielt sie inne, erstaunt, dass sie nachdenken musste. »Drittens Hausfrau.« Aber war das etwas anderes als Ehefrau und Mutter? Susie war schon fertig, und sie hatte erst drei. Was war sie denn? Mit welchen Worten ließen sich ihre Grundzüge erfassen? »Viertens, unsicher. « Das war nur allzu wahr.
Und plötzlich war die Zeit abgelaufen. Als sie ihre Liste betrachtete, stellte Ally fest, dass dies, auch wenn es noch so harmlos aussah, bei weitem mehr Sprengstoff barg als Geschichten erfinden. Nur vier Worte für die Beschreibung von Allegra Boyd, und alle davon zahm und hausbacken? Was war aus dem forschen, optimistischen Mädchen geworden, das mit nur zwanzig Jahren unter Hunderten ausgewählt worden war, um die Nachrichten zu sprechen?
Obwohl alle anderen schon fertig waren, faltete Ally ihren Zettel noch einmal auseinander und schrieb: »Fünftens, zornig.«
Barbara stand wieder auf. »Keine Sorge, ihr müsst es nicht vorlesen.«
Alle lachten erleichtert, doch Ally stellte verblüfft fest, dass sie einen winzigen Stich der Enttäuschung empfand. Offensichtlich wirkte die ansteckende Atmosphäre gemeinschaftlicher Bekenntnisse schon auf sie.
»Und nun eine andere kleine Übung, die ihr bestimmt sehr aufschlussreich finden werdet.« Barbara saß mitten in der Gruppe und lächelte. Ally fiel auf, dass die Teilnehmerinnen diesmal nicht so ablehnend reagierten. »Jetzt möchte ich, dass ihr die Frau rechts von euch beschreibt, und zwar auch in zehn Worten. Und seid bitte ehrlich - in unser aller Interesse.«
Einen Augenblick lang war Ally starr vor Entsetzen, aber alle anderen nahmen schon ihre Nachbarinnen in Augenschein und schrieben drauflos. Also nahm sie Zettel und Bleistift und studierte die Frau zu ihrer Rechten.
Diesmal wurden die Beschreibungen vorgelesen, und Ally wappnete sich, als ihre Nachbarin an die Reihe kam. » Attraktiv «, sagte sie. »Groß, schick, selbstsicher, nett, verheiratet, freundlich, warmherzig.«
Ally lauschte verblüfft.
»Es geht darum«, erklärte Barbara, die mit erstaunlicher Gewandtheit ihre Gedanken las, »dass einen andere Menschen nicht so sehen, wie man sich selbst sieht. Und das ist das Wichtige daran ihr könnt auch deren Sichtweise wählen statt eurer eigenen.«
Ally hatte einen Kloß im Hals und fühlte sich so maßlos erleichtert, dass sie am liebsten laut losgelacht hätte. Wenn andere Menschen sie als selbstsicher, warmherzig und freundlich sahen, warum sollte sie dann nicht selbstsicher, warmherzig und freundlich sein?
Barbara fuhr rasch fort. »Ich möchte, dass jede von euch den anderen erzählt, warum sie heute hergekommen ist.«
Eine nach der anderen gaben die Frauen ihre Schwächen zu. Sie fühlten sich unsicher. Unfähig, sich gegen Mütter oder Schwiegermütter zu behaupten, die ihr Leben dominierten. Wütend auf ihre Ehemänner. Untergebuttert von den Kindern.
»Und du, Allegra? Warum bist du heute hier?«
Einen Moment lang packte Ally die Panik. Was würde geschehen, wenn jemand herausfand, wer sie wirklich war? Aber sie hatte instinktiv erfasst, dass zwischen den Frauen, die heute hier waren, ein Bündnis bestand. Sie waren gekommen, weil sie die Vergangenheit abschütteln und neu anfangen wollten.
»Ich bin hier«, Ally sprach langsam und bemerkte, dass Susie sie genauso konzentriert ansah wie die anderen, »weil ich achtzehn Jahre lang eine glückliche Hausfrau war und es mir Freude gemacht hat, meiner Familie ein Heim zu schaffen und für sie da zu sein. Ich habe einen reizenden Mann und zwei hübsche Töchter. In mancherlei Hinsicht habe ich großes Glück gehabt. Doch in letzter Zeit fällt mir immer öfter auf, dass mein Mann mindestens ebenso egoistisch wie reizend ist und mich oft gar nicht mehr wahrnimmt, und auch meine zwei hübschen Töchter brauchen mich eigentlich gar nicht mehr.« Sie hielt inne und dachte das Ganze noch einmal durch, wobei sie beinahe vergaß, wo sie war. »Und deshalb habe ich beschlossen, etwas zu unternehmen.«
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