Lieblingslied: Roman (German Edition)
wollte sagen, dass ich nur meinen Ehemann wiederhaben möchte«, zischte sie dünnlippig. »Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
Anna drehte sich um und stürmte ins Haus.
Ich ließ ihr eine halbe Stunde Zeit. Dann folgte ich ihr, um die Wogen zu glätten. Am darauffolgenden Tag stand die nächste Geschäftsreise an, und ich wollte nicht im Unfrieden scheiden. Ich fand Anna im Schlafzimmer. Sie lag in unserem Bett, den Blick starr zur Decke gerichtet.
»Es tut mir leid«, begann ich.
»Mir auch«, erwiderte sie, ohne den Blick von der Decke zu wenden. Ihre Stimme klang noch immer mühsam beherrscht.
Ich legte mich neben sie und starrte ungefähr in dieselbe Richtung zur Decke. »Was gibt’s so Interessantes da oben?«
»Wo?«
»An der Decke.«
»Nichts. Ich sehe nur deprimierend leere, weite weiße Fläche. Erinnert mich fatal an unsere Ehe.«
»Oh, aber das ist kein Weiß«, verbesserte ich sie und versetzte ihr einen sanften Rippenstoß. »Das ist gebrochenes Leinenweiß . Vor neun Monaten hat mir die Künstlerin Anna erklärt, dass es voller und wärmer im Ton ist als das reine Weiß.«
Anna klang plötzlich unerwartet kleinlaut. »Keine Ahnung, ob es die Künstlerin Anna überhaupt noch gibt. Sieht in meinen Augen jetzt einfach nur weiß aus.«
»Dann geht es dir wie mir. Ich bin längst kein Musiker mehr.«
Anna drehte sich endlich um und sah mich an. »Es ist ein Trauerspiel. Was ist aus unseren Träumen geworden, Ethan? Anstatt sie mit Hope zu teilen, haben wir sie einfach aufgegeben. Ich habe das Gefühl, wir haben in den letzten Jahren sehr viel aufgegeben.«
Darauf wusste ich keine Antwort. Jedenfalls fiel mir nichts ein, das nicht auf geradem Weg wieder zu der Diskussion auf der Terrasse geführt hätte. Also hielt ich meinen Mund.
Anna starrte wieder auf das »gebrochene Leinenweiß« der Zimmerdecke. »Du hast gefragt, wofür Hope sich gerade interessiert. Möchtest du es wirklich wissen?«
»Ja.«
»Für Musik , Ethan. Sie liebt Musik. Ist ihr Lieblingsfach in der Schule.«
»Aha. Was meinst du? Soll ich ihr einen iPod kaufen?«
Anna stöhnte unterdrückt. »Ich dachte eher an eine Gitarre. Wäre eine günstige Gelegenheit. Eine Kindergitarre.«
Ich war sofort von der Idee begeistert. »Perfekt.«
»Aber, Ethan …«, mahnte Anna. »… eine Gitarre ist nur ein Gegenstand. Sie weiß gar nichts damit anzufangen. Die spielt nicht von allein. Wenn du ihr eine Gitarre schenkst, musst du ihr auch Gitarrenunterricht geben. Gib dein Talent an sie weiter. Das braucht sie.«
Mein erster Gedanke war, dass ich angesichts der gegenwärtigen Arbeitsüberlastung Hope vermutlich im Reisegepäck mitnehmen musste, um ihr Gitarrenstunden geben zu können. Dann behielt ich das doch lieber für mich. »Mache ich«, versprach ich. »Auf jeden Fall.«
Anna drehte sich zu mir um, sah mich mit einem Blick an, der deutlich sagte: »Das habe ich schon oft gehört«. Doch dann erwiderte sie nur: »Gut.«
Ohne ein weiteres Wort rollte sie zur Seite und schlief ein.
14
AM DARAUFFOLGENDEN NACHMITTAG flog ich nach Vegas zurück, um der Hotelkette weitere drei Tage lang Ideen für eine Werbekampagne zu unterbreiten. Dann reiste ich für zwei Nächte weiter nach Portland. Es folgte ein Tag in Seattle, um eine Präsentation zu prüfen, die eines meiner Teams für ein großes Kaffeeunternehmen vorbereitete. Von dort flog ich zu einer dreitägigen Strategiebesprechung nach New York. Als ich schließlich nach San Francisco zurückkehrte, blieben noch vier Tage bis zu Hopes Geburtstagsparty.
Der erste Tag verging mit langen Meetings mit dem Kreativteam. Die Vorstellungen der Hotelkette standen zur Diskussion. Anna rief mich um die Mittagszeit an, um zu fragen, ob ich schon Zeit gehabt hätte, die Gitarre zu besorgen. »Morgen«, sagte ich. »Dann ist es hier weniger hektisch.«
Am nächsten Tag kam ein ähnlicher Anruf.
Am Tag darauf ebenfalls.
Als ich an jenem Abend nach Hause kam, zwei Tage vor der Geburtstagsparty, schlief Hope bereits. Anna saß auf dem Sofa vor dem Fernseher. Sie hatte geweint. Die Spuren waren nicht zu übersehen.
»Frauenfilm?«, erkundigte ich mich, obwohl mir klar war, dass ihre Tränen nichts mit dem zu tun hatten, was über den Bildschirm flimmerte. Anna konnte stoisch, sogar übertrieben stoisch sein. Von der Tragödie der Fehlgeburten einmal abgesehen, war normalerweise ich der Einzige, der sie zum Weinen bringen konnte.
»Wie bitte?«
»Deine Augen … sieht aus, als
Weitere Kostenlose Bücher