Lieblingsmomente: Roman
Ich lese die Karte durch und erkenne die Gerichte, die mir nicht nur vertraut vorkommen, sondern mich auf eine Zeitreise zu einem wunderbaren Moment führen wollen. Ich höre auf zu lesen, starre nur auf die Buchstaben und hoffe, dass wir den Wein bald bestellen können. Andererseits fühlt sich mein Kopf an, als wäre ich bereits betrunken. Es fällt ihm schwer, klare Gedanken zu fassen, vor allem weil ich ihn mit allen Mitteln daran zu hindern versuche.
Aber bevor mir wirklich schwindlig wird, tritt unser Kellner an den Tisch. Er trägt eine schwarze Hose und das klassische weiße Hemd. Zumindest erahne ich das aus dem Augenwinkel – zu sehr bin ich angeblich in die verheißungsvoll klingenden Gerichte auf der Karte vertieft, und zu sehr hoffe ich, mich zu irren.
»Einen schönen guten Abend. Mein Name ist Tristan. Ich bin heute Abend Ihr Kellner.«
Die nächsten Sekunden vergehen langsamer als Stunden. Ich halte die Karte so fest, als würde ich sie nie wieder loslassen wollen, und starre sie so konzentriert an, als stünde darin die Lösung aller Rätsel. Und eine Antwort darauf, wie um Himmels willen ich diesen Abend überleben soll. Oliver scheint die Situation sehr viel entspannter zu nehmen, schließlich kennt er diesen Kellner nicht und weiß auch nicht, wie viele schlaflose Nächte seine Freundin wegen ihm hatte. Nämlich alle, seit Samstag.
»Guten Abend. Wir nehmen zunächst einmal den toskanischen Brotsalat mit Tomaten, Basilikum und Olivenöl.«
Ich sehe Oliver an und versuche Tristan auszublenden.
»Wir?«
Oliver nickt entschlossen und lächelt mich entwaffnend an.
»Der ist wunderbar. Er wird dir schmecken.«
Die Tatsache an sich bezweifele ich nicht einmal, aber wieso überlässt er mir nicht die Entscheidung, was ich als Vorspeise wähle? Mache ich den Eindruck, ich bräuchte Hilfe bei meinen Entscheidungen? Bin ich schon so ein hoffnungsloser Fall?
»Ich möchte aber doch lieber …«
Oliver winkt ab, als wäre ich ein Kind, das am Tisch für Unruhe sorgt.
»Ich weiß – aber wirklich, der Salat wird dich umhauen.«
Er nickt Tristan überzeugt zu. Ich habe es bisher vermieden, ihn anzusehen. Diese Situation ist mir unendlich unangenehm. Tristan und Oliver in einem Raum ist an für sich schon nicht unbedingt mein Lieblingsszenario, aber wenn Oliver sich so benimmt wie jetzt und mich bevormundet, dann ist das sehr peinlich.
»Vielleicht möchte die Dame noch einen Blick auf das Angebot unserer Vorspeisen werfen? Ich kann in ein paar Minuten noch mal kommen.«
Tristan wendet sich direkt an mich, und es wäre unhöflich, ihn nicht anzusehen. Also nehme ich meinen ganzen Mut und die nötige Kraft zusammen … und hebe meinen Blick. Ich komme bis zu dem dritten Knopf seines Hemdes, bevor Oliver sich wieder einmischt.
»Der Brotsalat ist das Richtige. Und wir hätten gerne Wasser und eine Flasche Chianti Riserva.«
Oliver lächelt, zeigt all seine perfekten und schneeweißen Zähne. Es ist keine Bitte, keine Aufforderung. Es gleicht einem Befehl, aber das Lächeln soll ihn abschwächen. Tristan nickt und notiert sich Olivers Bestellung. Noch immer schaffe ich es nicht, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Nimmst du dann wie immer deine Pizza mit Rucola und Parmesan? Die wird dir schmecken. Ich nehme die Pasta mit Lamm- und Kalbsfleisch von der Tageskarte.«
Damit schlägt Oliver die Speisekarte zu und reicht sie Tristan. Was auch immer hier passiert, die Stimmung ist eindeutig angespannt. Oliver will zeigen, dass er ein sehr weltmännischer Typ ist, der genau weiß, was man wo und warum bestellt. Wie ich mich dabei fühle, spielt offenbar keine Rolle. Vielleicht sollte ich ruhig bleiben, immerhin feiern wir Olivers Erfolge und nicht meine. Welche denn auch? Aber ich will mich vor Tristan nicht so behandeln lassen. Ich setzte zu einem kleinen Protest an.
»Oli, ich glaube, mir ist heute eher nach Pasta mit Meeresfrüchten.«
Eigentlich ist mir nach einem guten Burger und einem kühlen Bier, aber wenn ich schon die Chance habe, in diesem tollen Restaurant zu essen, dann will ich doch gerne etwas bestellen, was ich selber ausgesucht habe. Die Pasta mit Meeresfrüchten, das weiß ich, wird mir schmecken. Tristan hat sie mir damals ins Büro gebracht. Vielleicht weckt der Geschmack Erinnerungen in mir, die mich zurück ins Leben schubsen. Raus aus dieser Kühlbox, in der ich gerade zu leben versuche und in der es mir langsam, aber sicher zu eng wird. Und zu kalt.
»Schatz, das ist nicht so
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