Lieblingsmomente: Roman
sich etwas. Jetzt habe ich ihr einen Steilpass gegeben und warte auf die Antwort, vor der ich mich fürchten sollte.
»Du bekochst mich. Nächste Woche. Dienstag.«
Na das ging ja noch mal gut.
»Versprochen.«
»Gut. Das will ich auch schwer hoffen. Und jetzt sag endlich, ob es dir gut geht. Ich habe mir Sorgen gemacht, du Nudel.«
»Mir geht es gut, keine Sorge. Ich habe gestern Nacht nur sehr lange gearbeitet und dann im Büro gegessen.«
Bisher lüge ich nicht, ich verheimliche nur kleine Details, das ist alles. Falls sie gleich nachfragt, ob ich alleine gewesen bin, werde ich mit der Wahrheit herausrücken, weil ich nicht lügen will. Aber solange niemand gezielt nachfragt, sehe ich auch keinen zwingenden Grund, alles direkt erzählen zu müssen.
»Okay, du Arbeitstier, das nächste Mal schickst du eine E-Mail.«
»Wird gemacht, Mama.«
Danach erzählt sie mir von ihrem langweiligen Abend und wie sehr sie sich gewünscht hat, dass ich angerufen und sie aus den Fängen des schrecklichen Fernsehprogramms gerettet hätte. Ein kleines bisschen tut sie mir leid, aber ich werde es wiedergutmachen.
Im Büro erinnert nichts mehr an das Abendessen mit Tristan. Zum Glück. Ich will keinen Verdacht erregen, und vor allem will ich nicht ständig daran denken. Ich brauche keine sichtbaren Spuren, um mich an jedes kleine Detail zu erinnern.
Bei Facebook ist alles wie immer, die üblichen Verdächtigen kündigen neue Veranstaltungen an oder ändern ihre Statusmeldung und die Profilfotos. Die Mädels zeigen im Sommer mehr Bein und die Herren mehr Brusthaar, zumindest diejenigen, die es sich leisten können, und selbst die anderen, die es besser nicht tun sollten, fühlen sich wohl durch Facebook dazu aufgefordert, ihre Oberbekleidung abzulegen, was ich mit einem Kopfschütteln quittiere.
Dann lande ich aber doch auf Tristans Profil, wo sich seit gestern nichts getan hat. Deswegen bin ich aber auch nicht hier. Ich kann den Namen »Helen« seit vergangener Nacht nicht mehr aus meinem Kopf bekommen, und ich bin einfach neugierig, wer diese Traumfrau an Tristans Seite ist. Erneut klicke ich mich durch sein Album und betrachte einige der Fotos, auf denen sie zu sehen ist. Ich nehme an, dass Tristan die Fotos von ihr gemacht hat, weil sie so viel Liebe ausstrahlen. Helen, irgendwo bei einem Musikfestival, umgeben von zahllosen Seifenblasen, ein entspanntes Lächeln auf den Lippen, als wäre alles in diesem Moment perfekt. Ein anderes Foto zeigt sie mit nassen Haaren an einem Sandstrand, wie sie mit Taucherbrille und Schnorchel in der Hand sexy für ihn posiert. Alles wirkt ungezwungen, vollkommen natürlich, so als wäre sie mit sich und ihrem Leben im Einklang. Kein Wunder, dass sich ein Mann wie Tristan in sie verliebt hat. Sogar ich stelle fest, dass ich sie mag. Helen sieht wie einer dieser Menschen aus, die einfach nett, liebenswert und unkompliziert sind. Selbst wenn ich wollte – und das will ich nicht –, wie sollte ich je gegen diese Frau ankommen? Tristan wäre verrückt, wenn er sie aufgeben würde. Irgendwie entspannt mich dieser Gedanke. Tristan ist und bleibt einfach ein Freund. Und das ist gut so. Mit Helen im Kopf fällt es mir leichter, meine Gefühle zu definieren.
Okay, ich weiß jetzt, wie sie aussieht, aber: Wer ist sie? Was mag sie? Hat sie viele Freunde? Tristan müsste doch eigentlich mit ihr auf Facebook befreundet sein. Vielleicht lässt mich ihr Facebook-Profil ja noch mehr über sie herausfinden. Ich gehe seine Freundesliste durch, bloß hat Tristan leider keine Helen in seiner Liste, was mich überrascht. Besitzt die Gute etwa kein Facebook-Konto? In der heutigen Zeit?
Ich schließe Facebook, und plötzlich fällt mir die Arbeit um einiges leichter. Zum ersten Mal seit Stunden konzentriere ich mich wieder voll auf meine kleine Firma anstatt auf Tristan Wolf.
Kurz nach zwölf schicke ich Oliver eine SMS und bekomme sofort eine Antwort. Zwar schnell, dafür aber auch etwas lieblos: Er sei in München bei einer Besprechung, wie ich geahnt habe, er wollte mich heute Morgen nicht wecken und würde sich wieder melden, wenn er etwas mehr Zeit hätte. Meine SMS hat mit den Worten »Kuss, lieb dich« geendet, seine mal wieder mit »muss los«.
»Oli, ich geh dann mal. Die Arbeit ruft.«
Es ist Freitagabend, und Oliver sitzt in seiner Wohlfühlhose auf der Couch. Er sieht mich aus müden Augen an, obwohl es noch nicht einmal acht Uhr ist. Diese Woche war er oft lange unterwegs und morgens schon
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