Lieblingsmomente: Roman
Also nehme auch ich einen großen Schluck Bier und trinke mir im wahrsten Sinne des Wortes Mut an.
»Sex im Pool bei Nacht mit einem heißen … Unbekannten.«
So unbekannt war der Typ zwar nicht, aber wirklich gut gekannt haben wir uns damals auch noch nicht, und ich muss ihm ja nicht alles direkt auf die Nase binden. Tristan scheint überrascht, weil ich doch geantwortet habe.
»Wie, keine Fesselspiele? Kein flotter Dreier? Keine schmutzigen Gedanken? Kein Hollywood-Star? Nur ein Pool?«
»Bei Nacht. Jawohl.«
»Details?«
»Das war nicht Teil der … Wahrheit.«
Er nickt und nimmt wieder einen Schluck Bier. Bin ich ihm jetzt zu langweilig, weil ich keine SM-Spielchen auf dem Eiffelturm mit Jake will? Lieber nicht darüber nachdenken. Angriff.
»Wahrheit oder Pflicht, lieber Tristan?«
»Wahrheit.«
»Okay. Peinlichster sexueller Ausrutscher im Alter über 20.«
»Über 20?«
»Ich will nicht hören, wie du als 15-Jähriger mal beim Kekswichsen oder so verloren hast. Ich will die bittere Wahrheit.«
»Ich nehme Pflicht.«
Ich muss lachen. Er ist fast etwas rot geworden, und es ist ihm auf eine sympathische Art und Weise unangenehm geworden. Ich könnte und würde ihn jetzt am liebsten küssen. Dieses Gefühl verspüre ich inzwischen schon zum wiederholten Mal. Es sollte mir Sorgen machen, aber dieses Gefühl stellt sich überraschenderweise nicht ein. Nicht jetzt, nicht heute. Was morgen ist, das werden wir dann sehen.
»Also gut. Bring mir ein Ständchen.«
»Oh, ein Lied? Was bin ich, eine lebende Jukebox?«
»Nein, aber du drückst dich vor der Antwort … also will ich ein Lied. Keinen Auszug, ich will ein ganzes Lied. Und schön laut.«
Dabei zwinkere ich ihm zu und nehme einen weiteren Schluck Bier. Es macht Spaß, wir sind albern, und das ist lustig. Wir tun uns nicht weh, wir haben nur Spaß und, soweit ich das beurteilen kann, überschreiten wir auch keine Grenzen.
»Also gut. Ein bestimmter Musikwunsch?«
»Das sei dir überlassen.«
Er steht unvermittelt auf und springt vom Bus. Für einen kurzen Moment denke ich, er will zur Flucht ansetzen, aber er scheint nur etwas zu suchen, was ich von hier oben aus nicht so gut erkennen kann.
»Kann man dir helfen?«
»Nein, ich suche nur etwas, das als Mikrofon herhalten kann. Ich singe ungern so ganz ohne. Das ist unprofessionell.«
Er hält einen kleinen Ast triumphierend in die Luft und steht stolz neben dem Wagen. Ich betrachte ihn von hier oben und stelle erneut fest, dass er einer dieser Kerle ist, die ohne große Show oder wild bedruckte T-Shirts einfach so die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Meine hat er jedenfalls. Ganz.
»Guten Abend, mein Name ist Tristan Wolf, und dieses Lied ist für Layla – und alles, was noch kommt …«
Er zeigt zu mir hoch, und ich jubele wie ein Vorzeige-Groupie in den besten Jahren. Ich bin auf alles gefasst, von Katzengejammer über ein David-Hasselhoff-Medley, aber mit dem, was jetzt kommt, hätte ich niemals gerechnet.
Großstadt, große Träume,
Alltag, zu wenig Zeit für
Leidenschaft, für dein Talent,
für das, wofür deine Flamme brennt …
Tristans Stimme ist weicher und rauer, wenn er singt. Sie ist sanft, und vor allem ist sie eines: wunderschön. Sie lässt einen den Atem anhalten. Er singt ganz ohne Zweifel nicht zum ersten Mal, und ganz sicher blamiert er sich kein Stück.
Zieh die Notbremse und steig aus,
tu’s für dich, nur für dich …
Meine Unterarme sind seit der ersten Silbe, die er gesungen hat, von einer kribbelnden Gänsehaut überzogen. Mit offenem Mund sitze ich auf seinem Bus und starre ihn an, während er in einen Ast singt, dabei ganz sanft hin und her wippt und mir das Gefühl gibt, auf einem Konzert zu sein, das nur mir zu Ehren gegeben wird.
Es steckt mehr in dir, als du denkst,
mach jeden Moment zu einem Lieblingsmoment!
Ich lausche dem Lied, lasse die Worte, die Tristan für mich singt, auf mich wirken und bin sofort verliebt in das Lied, weil mich der Text so tief berührt. Mit sanfter Stimme besingt Tristan die Flucht vor dem erdrückenden Alltag, als wäre dieses Lied nur für mich geschrieben. Er singt mir aus der Seele, und jedes der gesungenen Worte gräbt sich tiefer in mein Herz ein.
Dein Leben, so fremdbestimmt,
du lebst nicht, was du leben willst,
du schaust dich im Spiegel an
und fragst dich, wie man sich so leugnen kann.
Wie oft habe ich mich schon genau so gefühlt? Und wie oft habe ich etwas dagegen getan? Noch nie. Jetzt steht
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