Lieblingsmomente: Roman
dort das gleiche Verlangen danach, mich zu küssen. Eigentlich ist jetzt hier oben alles so sternenklar. Ich liege in seinen Armen und könnte ihn für mich haben.
Es ist die letzte Chance, nicht das Falsche zu tun.
»Wahrheit oder Pflicht, Tristan.«
Er nickt, lässt mich aber noch immer nicht los.
»Wahrheit.«
Mein Puls rast, mein Herz flattert, und mein Mund ist trocken. Ich muss schlucken und all meine Konzentration aus meiner Magengegend wieder in mein Gehirn pumpen. Meine Stimme ist nur noch ein Flüstern, als ich die Worte endlich über meine Lippen bringe.
»Liebst du Helen?«
Etwas in seinem Blick ändert sich schlagartig.
»Ja.«
Das saß. Es ist die kalte Dusche, die wir beide gerade so dringend nötig haben. Ich löse mich schnell aus seinen Armen. Tristan räuspert sich, während ich meine Bluse schnell wieder zuknöpfe und die peinliche Einlage von eben vergessen machen will. Er kann mich nur kurz ansehen, bevor er seinen Blick wieder auf etwas hinter mir wirft.
»Willst du noch ein Bier?«
Ich schüttele den Kopf.
»Das wird nicht reichen, um das eben zu vergessen.«
»Was?«
Jetzt sieht er mich doch wieder direkt an, und für den Bruchteil einer Sekunde meine ich, etwas Trauriges oder Ängstliches in seinen Augen aufflackern zu sehen.
»Da braucht es schon was Anderes.«
Jetzt sieht er mich eindeutig verwirrt an, was irgendwie liebenswert aussieht.
»Mir wäre jetzt eher nach einem Cuba Libre. Mit viel Rum.«
Ich spüre ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen, und Tristans Miene hellt sich auch endlich auch wieder auf: Da ist es, dieses Jungenhafte, dieses Besondere an ihm.
»Kommt sofort. Das mische ich schnell für dich. War ja mal Barkeeper.«
»Wieso überrascht mich das kein bisschen?«
»Weil ich das Klischee perfekt erfülle?«
Er klettert vom Dach, und ich kann kurz durchatmen.
Was war das gerade? Ich bin angetrunken, keine Frage, aber bin ich nicht wirklich betrunken, oder? Ich schließe kurz die Augen, noch dreht sich nichts. Na gut, vielleicht ein bisschen. Okay, nach dem Rum ist Schluss, mehr geht heute wirklich nicht. Schnell wühle ich mein Handy aus der Tasche und bemerke, dass Beccie erneut versucht hat, mich zu erreichen. Von Oliver nach wie vor kein Lebenszeichen.
»Sag mal, wieso haben wir noch mal Milch gekauft?«
Tristans Stimme erreicht mich aus dem Inneren des Busses, und ich spüre wieder diese kleine Wut in mir aufflackern.
»Diese verfluchte Milch.«
»Was?«
»Die ist für Oliver.«
»Ach so. Verstehe.«
Ich verstehe nicht mehr. Ich weiß nicht, wieso ich nicht einfach vergessen habe, sie zu kaufen. Ich verstehe nicht, wieso ich sogar hier und jetzt noch daran denke, Milch zu kaufen.
»Einmal Cuba Libre, und einmal Wurfgeschoss aus Kuhmilch.«
Er stellt ein Glas und eine Packung Milch vor mich hin. Ich bin, wie so oft bei Tristan, etwas verwirrt. Ich nehme einen großen Schluck Cuba Libre. Mit viel Rum.
»Danke. Aber was soll das?«
»Die Milch ist verflucht.«
»Wieso sollte …«
»Hast du eben selbst gesagt.«
»Aber …«
»Du sollst deinen Frust und deine Wut und alles andere in Form dieser Milchpackung in den Himmel schleudern.«
»Soll ich?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil er es verdient hat.«
»Oliver?«
»Ja, Oliver.«
»Du kennst ihn doch gar nicht.«
»Ich habe aber schon viel über ihn gehört.«
»So schlimm ist er nun auch wieder nicht. Ich habe da vielleicht ein bisschen einseitig … argumentiert.«
Wieso versuche ich schon wieder, ihn zu verteidigen? Alles, was ich Tristan über Oliver erzählt habe, stimmt. Ich trinke noch einen großen Schluck Cuba Libre, denn ich brauche jetzt Mut.
Da steht sie, die Milchpackung. Sie wehrt sich nicht und sieht mich auffordernd an. O wie verlockend. Es wäre nur ein kleiner Wurf für die Menschheit! Ich packe das blöde Ding, hole weit aus und feuere dann das Milchgeschoss wütend in den Himmel. Es fühlt sich gut an. Tristan grölt laut neben mir und klatscht dabei in die Hände. Angesteckt von seinem Geschrei schreie auch ich unsinniges Zeug in die Nacht. Der dämlichen Milch hinterher. Irgendwann landet meine Hand in seiner, und während ich alles, was in mir wütet, endlich rauslassen kann, fühlt es sich an, als verliere ich gefühlte vier Kilo Ballast. Wenn ich gewusst hätte, dass Schreien wirklich besser wirkt als die Weight Watchers, ich wäre sofort First-Row-Fan von Tokio Hotel geworden. Und das schon vor Jahren. Aber ich verliere nicht nur aufgestauten Ballst, ich
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