Lieblingsmomente: Roman
gegeben, ohne sich etwas von mir zu erwarten. Er hat mir seine volle Aufmerksamkeit geschenkt, sich um mich gekümmert. Er war ehrlich, charmant – und sexy. So verhält man sich nicht, zumindest nicht einer Frau gegenüber, die vergeben ist – noch dazu, wenn man selbst vergeben ist. Dann benimmt man sich nicht so, wie Tristan es getan hat. Er legt es darauf an, dass man sich in ihn verliebt, und er muss damit aufhören, wenn wir befreundet bleiben sollen. Genau das werde ich ihm genau so sagen. Oder so ähnlich.
Meine verwirrten Gefühle und Gedanken scheinen eine Allianz einzugehen und bilden eine kleine Opposition der Wut gegen Tristan. Jawohl, ich riskiere meine ganze Beziehung, meine potenzielle Zukunft und mindestens zwei gebrochene Herzen, weil er sich so benimmt – und ich nicht widerstehen kann. Aber das wird sich ab jetzt ändern. Ich werde mich zusammenreißen und ihm sagen, er soll dasselbe tun, wenn er mit mir befreundet bleiben möchte. Er soll mich wie ein Freund behandeln und mich nicht einfach so … schamlos verführen.
Ich stelle das Wasser ab, trockne mich ab und ziehe mich an. Jetzt bin ich bereit. Ich verlasse meine Wohnung und marschiere in Richtung Palast der Republik .
Schon von Weitem sehe ich die Menge, die sich um das ehemalige Klohäuschen, das jetzt Kulttreff der Stuttgarter Genießer ist, versammelt hat. Bei dem Wetter treffen sich manchmal an die hundert Leute hier draußen, trinken ihr Bierchen auf dem Boden oder an einem der wenigen Tische. Ich begrüße einige alte Bekannte mit einem kurzen Kopfnicken. Wenn man öfter hier ist – und früher war ich oft hier –, lernt man die Leute schnell kennen. Zuerst sitzt man nur durch Zufall an einem Abend nebeneinander, beim nächsten Mal nickt man sich dann schon zu, und irgendwann führt man angetrunkene Gespräche bei einem Bier. Zur Palast-Familie gehört man schnell, wenn man im Sommer die Nächte auf dem Boden um das kleine Klohäuschen verbringt, Kippen und Geschichten teilt. Gibt es wirklich Menschen in Stuttgart, die noch nie hier waren? Kaum vorstellbar. Das wäre eine Lücke in der Allgemeinbildung. Viele Beziehungen haben hier ihren Anfang genommen. Ein schüchternes Lächeln, ein leises Gespräch, und Jahre später kehrt man als verheiratetes Paar hierher zurück, um auf die gelungene Beziehung anzustoßen. Vermutlich sind aber auch viele Beziehungen genau hier mit einem lautstarken Streit beendet worden. Mal sehen, was der Abend für mich heute bereithält. Ich muss schauen, ob ich Tristan finde. Wieso ich glaube, er würde sich noch immer hier tummeln und nicht schon seit Stunden wütend zu Hause Nadeln in eine Voodoo-Puppe mit meinem Namen stechen, weiß ich nicht genau. Vielleicht schätze ich Tristan einfach so ein.
Und dann sehe ich ihn. Er sitzt etwas abseits, hat eine Bierflasche in der Hand und scheint keine große Lust auf den Trubel hier zu haben. Er sitzt einfach so da und starrt vor sich hin. Meine Wut bekommt einen gehörigen Dämpfer. Fast verliere ich den Mut und will ihn gar nicht mehr stören. Vielleicht ist er noch zu sauer … Nein, ich bin sauer! Warum noch mal? Ach ja, er setzt unsere Freundschaft aufs Spiel, weil er so verführerisch ist. Oder? Ja. Und sein Anblick in genau diesem Augenblick bestätigt das nur. Am liebsten würde ich ihn nämlich umarmen. Aber das wird nicht geschehen.
Mit festen Schritten gehe ich auf ihn zu und stelle mich direkt vor ihn. Er sieht zu mir hoch, aber weder seine Augen noch sein Gesichtsausdruck zeigen Freude, mich zu sehen. Er wirkt irgendwie matt.
»Hallo. Du bist spät dran.«
»Hi, Tristan.«
Zuerst will ich mich entschuldigen, weil es ein bisschen unverschämt ist, wie ich ihn habe warten lassen, bevor ich ihm abgesagt habe, nur um jetzt doch hier aufzutauchen, aber ich darf mein eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ich muss ihm sagen, er soll sich nur noch wie ein ganz normaler Freund verhalten und sich weder in meine Träume noch in mein Herz schleichen, wann immer es ihm gerade passt. Ich beginne mit der Kurzfassung.
»Das kann so nicht weitergehen.«
Er nickt und nimmt einen Schluck Bier. Neben ihm liegt, sauber zusammengelegt, meine Bluse. Ich habe sein T-Shirt in der Aufregung natürlich vergessen.
»Ich weiß.«
Er stellt das Bier neben sich und reicht mir, wortlos, die Bluse.
»Danke.«
»Gerne.«
»Ich habe dein T-Shirt zu Hause …«
»Ist egal. Du kannst es behalten.«
Ich bin überrascht, wie cool und sicher er
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