Lieblingsmomente: Roman
Begriff?
»Und du hast dabei nicht an mich gedacht?«
Was? Ach, daher weht der Wind! Der Typ ist aber mächtig von sich überzeugt.
»Nein!«
»Keinen Augenblick?«
Schlimmer noch: Er kennt mich jetzt schon viel zu gut. Verdammt! Aber die Blöße will ich mir nicht geben.
»Nein! Keinen Augenblick!«
Schon wieder lüge ich ihn an, dabei würde ich ihm die Wahrheit so gerne ins Gesicht schreien, wenn ich nur den Mut dazu hätte.
»Warum glaube ich dir das nicht?«
»Keine Ahnung! Ich habe nichts Falsches getan!«
»Wieso schreist du mich dann an?«
»Ich schreie dich nicht an!«
Spätestens jetzt schreie ich ihn aber an. Er nickt und will schon wieder gehen, aber ich halte seine Hand fest, und er hält inne.
»Ich will dich nicht anschreien, aber ich halte das alles nicht mehr aus. Ja, ja verdammt, ich habe an dich gedacht. Und das ist falsch! Ich tue Oliver weh, und du tust Helen weh, und dazwischen tun wir uns auch noch gegenseitig weh.«
»Es geht hier aber weder um Helen noch um Oliver. Es tut mir leid, wenn das alles beschissen ist, aber ich frage mich auch nur, was du willst.«
Was ich will? Welch gute Frage um diese Uhrzeit nach dem ganzen Drama. Ich habe keine Antwort, weil ich nicht weiß, auf welche Stimme in meinem Inneren ich hören soll. Und meinen Gedanken und Gefühlen kann ich heute Abend sowieso nicht trauen.
»Woher zum Henker soll ich wissen, was ich will? Du tauchst aus dem Nichts auf, du bist so anders als Oliver, du bist so …«
»So … was?«
Ich schließe die Lücke zwischen uns und fahre mit meiner Hand über seine Wange, während ich ihm tief in die Augen sehe. Es ist vielleicht meine letzte Chance heute Abend, ehrlich zu ihm zu sein.
»So echt. Alles an dir ist so wunderbar und so verdammt unwiderstehlich. Du bist mitfühlend und lustig, und du beschützt mich. Du schenkst mir besondere Momente und lässt mich mit ihnen nicht alleine. Du bist immer ganz da. Du bist immer ganz bei mir. Das meine ich so.«
Ich halte sein Gesicht in meinen Händen. Ich schreie nicht, ich spreche ganz leise und stehe so nah am Abgrund, das merke ich. Meine Fußspitzen hängen schon über der Tiefe. Er atmet aus und schließt die Augen. Seine Arme legen sich um meine Hüften, und er nimmt mich ganz fest in den Arm. Mein Gesicht liegt an seinem Hals, ich schließe die Augen. So umarmt man nur wirklich besondere Menschen.
»Du musst aufhören, dich in meine Träume zu schleichen. Bitte. Du bist mir so wichtig, und ich möchte, dass wir Freunde sind. Ich möchte dich nicht verlieren. Verstehst du das?«
Er nickt, das spüre ich.
Jetzt kommt der härteste Teil: das einzig Vernünftige.
»Aber wir können nicht zusammen sein. Ich kann das Oliver nicht antun, und ich kenne Helen nicht, aber ich denke, ich mag sie. Ich möchte niemandem wehtun.«
»Das will ich auch nicht.«
Er küsst meine Wange und lässt mich los. Sofort spüre ich die Kälte zwischen uns. Das fühlt sich alles viel zu sehr nach Abschied an, und ich versuche, das ungute Gefühl zu unterdrücken, zur Seite zu schieben, nur weg damit. Freunde sein – das heißt nicht Abschied nehmen. Aber so recht kann ich mich davon nicht überzeugen.
»Wir sehen uns.«
Ich nicke, will nicht weinen, weil es albern wäre und gar nicht zu mir und dieser Situation passt. Das ist die richtige Entscheidung. Er geht, sein Bier in der Hand, die Straße entlang, und ich stehe hier, halte meine Bluse in der Hand und sehe ihm nach. Ich bewege mich nicht, will gar nicht weinen, tue es aber irgendwie trotzdem. Das ist die richtige und einzige Entscheidung, die ich treffen kann. Wenn es einen guten Platz für so eine Entscheidung gibt, dann ist es der Palast.
Oliver ist noch nicht zurück, aber ich bleibe wach und warte. Ich verbanne sein T-Shirt in das hinterste Eck meines Schrankes, weil es mich zu sehr an ihn erinnert und das auch immer tun wird. Dann checke ich Facebook und entscheide mich, einige der möglichen Features für Tristan zu sperren. Er kann zwar nach wie vor mit mir kommunizieren, aber ich sperre einige Fotoalben, vor allem diejenigen, die mir wichtig sind, und er kann nicht mehr sehen, wann und ob ich online bin. Ich lösche alle seine E-Mails, nicht weil ich sie nicht schön fand, sondern weil ich Gefahr laufe, mich schon beim wiederholten Lesen erneut in ihn zu verlieben. Das lasse ich jetzt nicht mehr zu. Es war eine schöne kurze Episode. Ich habe es genossen, ein bisschen mit dem Feuer zu spielen, eine Art Sommerflirt,
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