Lieblingsmomente: Roman
wie in einer Zwangsjacke, während das nächste potenziell perfekte Motiv einfach an mir vorbeizieht. Ich schmolle, was Oliver nicht auffällt.
»Im Ernst, wen willst du denn mit deinen Fotos von alten Burgen und Kirchen beeindrucken?«
Ich weiß nicht sofort, was ich darauf antworten soll. Deshalb gebe ich Oliver die Antwort, die er hören will.
»Kunden.«
»Party-Veranstalter?«
Er scheint wirklich verwirrt.
»Nein. Ich dachte mir, vielleicht könnte ich auch mal wieder etwas andere Fotografie betreiben. Wie früher. Und inzwischen kenne ich auch ein paar Leute, die …«
»Darüber haben wir doch gesprochen. Du schreibst erst seit zwei Jahren schwarze Zahlen. Alles andere ist ein Hobby, da waren wir uns doch einig.«
Er war sich einig.
»Es geht doch nicht immer nur um das Geld, Oli.«
»Ich weiß, ich weiß, die Kunst.«
Er verdreht die Augen und lacht kurz auf.
»Hör auf damit.«
Ich werde etwas lauter. Oliver nimmt die Sonnenbrille ab.
»Ich meine doch nur …«
»Ich weiß, was du meinst.«
Ich stopfe alle Objektive in meine Kameratasche und hebe die Hände, als würde ich mich ergeben.
»Siehst du, ich fasse sie nicht mehr an. Du hast gewonnen. Die Knipserei hat ein Ende. Ich gebe mein blödes Hobby für diesen Urlaub auf.«
Ich bin ehrlich wütend und denke, dieser Streit wird nicht mehr in der Fliegengewichtsklasse beendet. Aber Oliver schüttelt den Kopf.
»Süße, so war das doch gar nicht gemeint. Wirklich. Es tut mir leid. Ich liebe deine Bilder. Ich dachte nur, du solltest auch mal abschalten. Und wenn du immer an diese Fotos denkst, dann ist das doch auch Arbeit. Du sollst dich erholen. Du hast frei! Wir fahren hier gemeinsam um den wunderschönen Bodensee. Wie oft kommt das schon vor? Bitte. Genieße den Augenblick. Schau dich um. Ohne Kamera im Anschlag.«
Habe ich ihn etwa die ganze Zeit falsch verstanden? Geht es ihm gar nicht darum, mir die Unsinnigkeit meines Jobs vor Augen zu führen? Macht er sich vielleicht Sorgen um mein Stress-Level?
»Du willst, dass ich entspanne?«
»Ja.«
»Und du liebst meine Bilder?«
»Ja.«
Ich küsse ihn spontan und spüre das Lächeln auf seinen Lippen.
»Ich liebe dich, Oli.«
Sein Lächeln wird größer, als er meinen Kuss erwidert.
Von Meersburg aus geht es dann weiter nach Friedrichshafen, wo wir eine kurze, wunderschöne Nacht in unserem Wohnmobil verbringen. Ganz ohne Kamera. Dafür mit viel nackter Haut. Am nächsten Vormittag kommen wir durch Lindau und an die österreichische Grenze – schon sind wir in einem weiteren Ländle: Vorarlberg.
Österreich fühlt sich direkt anders an. Das Urlaubsgefühl verstärkt sich, als wir uns in der Nähe von Bregenz einen netten Campingplatz suchen. Die Menschen hier wirken entspannt, sprechen einen angenehmen Dialekt mit Anklängen ans Schwäbische. Sie geben einem das Gefühl, willkommen zu sein. Auch Oliver kann sich dem Charme der Gegend nicht entziehen. Er will nur mal kurz seinen Kollegen Sandro anrufen und alles klären, ich könnte mich inzwischen ja entspannen. Das tue ich, während ich den Campingplatz inspiziere und mich wie in einem Heimatfilm fühle. Deswegen liebe ich mein Leben. Von Stuttgart aus ist man doch mit Leichtigkeit am Bodensee, wo so viele wunderbare Schätze auf einen warten und man beinahe das Gefühl bekommt, am Meer zu sein. Und nur einige Stationen später ist man schon im wunderbaren Österreich. Was will man mehr?
Ja, was? Ich schaue mich um und genieße den Ausblick, kann aber auch das Gefühl nach noch mehr Freiheit und Weite nicht unterdrücken. Der Bodensee fühlt sich inzwischen fast wie ein zweites Zuhause an, so oft waren wir schon hier. Alles scheint mir seltsam vertraut. Alles ist wie immer. Wie es wohl wäre, wenn ich plötzlich nicht hier, sondern am anderen Ende der Welt stünde? Ich bleibe stehen, schließe die Augen und stelle mir vor, jetzt irgendwo in Indien zu sein … Irgendwo im buntesten Treiben der Welt, mit tausend neuen Farben und fremden Gerüchen. Sofort habe ich das Bedürfnis, nach meiner Kamera zu greifen. Ich muss lächeln. Lust hätte ich schon darauf, einmal wo ganz anders zu sein, ganz andere Dinge zu sehen, eine völlig neue Welt kennenzulernen, aber Oliver würde bei dem Gedanken an eine Weltreise wahrscheinlich einen Schreikrampf bekommen. Egal. Heute bin ich in Österreich, in Bregenz, und heute Abend gibt erst mal richtig gute Musik. Darauf freue ich mich enorm. Vielleicht tanzt Oliver nach ein paar Bierchen sogar
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